Aus der HAZ vom 30.04.2016 – Zukunft der Wälder in Hildesheim

Zum ersten Mal will die Stadt einzelne Areale im Stadtwald unter Schutz stellen. Auf 5,8 Prozent der Fläche sollen keine Bäume mehr gefällt werden. Einigen geht das nicht weit genug.

von Marita Zimmerhof

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Wie soll sich der Stadtwald entwickeln? Der Arbeitskreis Stadtwald sucht einen Kompromiss zwischen Erholungs- und Wirtschaftswald. Fotos: Kaiser

Hildesheim. Ob Steinberg, Finkenberg oder Lerchenberg, ob Berghölzchen oder Hildesheimer Wald: Für zahllose Bürger ist der 700 Hektar große Wald der Stadt Hildesheim ein Ort zum Entspannen und sich Erholen. Doch der Wald ist nicht nur Freizeitoase. Er ist auch grüne Lunge und Lebensraum seltener und bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Und nicht zuletzt ist er ein Wirtschaftsgut, das durch die Nutzung seines Baumbestandes Geld in die Kassen des Eigentümers bringt.

Diese vielfältigen Ansprüche sorgen immer wieder für Konflikte zwischen den widerstreitenden Interessen. Doch nun will sich die Stadt festlegen: Sie will erstmals fünf Prozent ihrer Waldfläche dauerhaft aus der wirtschaftlichen Nutzung herausnehmen und die ausgewiesenen Areale sich ungestört entwickeln lassen. Die Leitlinie dafür gibt der Abschlussbericht des „Arbeitskreises Stadtwald Hildesheim“ vor. Ihm gehören Vertreter der politischen Parteien, der Verwaltung und Unteren Naturschutzbehörde, aber auch der großen, in der Stadt aktiven Naturschutzverbände an.

Wie intensiv oder extensiv der Hildesheimer Wald überhaupt genutzt wird, regelt das „Forstbetriebswerk“, das die Stadt vorgibt und das vom Forstamt Liebenburg als ihr Dienstleister im Wortlaut umgesetzt werden muss. Seit 1985 kümmert sich das Forstamt um den Stadtwald, alle zehn Jahre wird der Regieplan für die Förster neu geschrieben. Gerade ist es wieder so weit: Der Marschplan für 2017 bis 2026 muss ausgearbeitet und vom Rat bestätigt werden. Einfach ist das nicht. Denn die klamme Stadt muss sich noch auf Jahre dem strengen Sparkurs des Zukunftsvertrags unterwerfen und darf auf keinen Euro verzichten.

Auch der Fachbereich Grün ist daher verpflichtet, in seinen Forsten ein zumindest ausgeglichenes Ergebnis zu erzielen. Zugleich wächst das ökologische Bewusstsein in dem Maße, in dem natürlicher Lebensraum zerstört wird. Schon vor zwei Jahren konstatierte der Rat, dass sich „die Ansprüche an eine ökologische und zukunftsfähige, möglichst naturnahe Waldnutzung weiterentwickelt haben“ und die Bedeutung der forstwirtschaftlichen Nutzung immer weiter in den Hintergrund rücke. Um „gemeinsam ein tragfähiges Konzept für eine nachhaltige künftige Entwicklung und Bewirtschaftung“ des Waldes zu erarbeiten, richtete der Stadtentwicklungsausschuss vor anderthalb Jahren den Arbeitskreis ein. „Zäh“ sei es anfangs gelaufen, sagt der Ausschussvorsitzende, Detlef Hansen (SPD). „Mühsam“, lautet die Einschätzung von Maren Burgdorf vom Ornithologischen Verein zu Hildesheim (OVH). Oftmals hätten die verschiedenen Positionen sehr weit auseinander gelegen, sagen alle. Doch nun ist es dem Arbeitskreis Stadtwald tatsächlich gelungen, ein Abschlusspapier auszuarbeiten, mit dem alle Beteiligten leben können und das den Niedersächsischen Staatsforsten für die kommenden zehn Jahre aufzeigt, wie sich das Generationen überspannende Gemeinschaftswerk Wald in greifbarer Zukunft entwickeln soll.

Die Holzpreise sind seit Jahren hoch, sogar leicht steigend. Die jährlichen Erträge aus dem Holzverkauf liegen bei etwa 300 000 Euro. Doch die Einnahmen decken nur die Ausgaben: Der „Ertragswald“ bringt zwar einen Überschuss von 130 000 Euro ein, doch genau so hoch ist die Summe, die im „Erholungswald“ zugelegt werden muss, um Wege in Stand zu halten, der Verkehrssicherungspflicht nachzukommen oder Bänke und Schilder aufzustellen.

Die nun ausgewiesenen Schutzzonen kommen auf zusammen 5,8 Prozent der Waldfläche. Es sind Gebiete, die aus wirtschaftlicher Sicht wenig interessant sind und auch bislang keinen oder kaum Ertrag gebracht haben, weil ihr Baumbestand zu alt, das Gelände für Maschinen wie Harvester nur schwer zu erreichen ist. Hier gibt es Naturschutz also praktisch zum Nulltarif. Insgesamt handelt es sich um zehn Areale, die über den gesamten Stadtwald verteilt liegen. Einige Parzellen sind nicht einmal zwei Hektar groß, bei den größten handelt es sich um zwei je zehn Hektar große Flächen, einen Hutewald aus verschiedenen Laubhölzern und einen alten Traubeneichenbestand mit Linde und Buche, beide im Hildesheimer Wald. Die Schutzfläche beträgt insgesamt rund 38 Hektar.

Der ökologische Nutzen dieser Gebiete aber ist hoch, denn es sind gerade die alten „Charakterbäume“, die in der komplexen Lebensgemeinschaft Wald herausragende Rollen spielen. Der Abschlussbericht geht aber noch weiter: Im Berghölzchen sollen künftig nur noch „Sicherungsfällungen“ erlaubt sein, auf dem Steinberg muss der Einschlag „in betriebswirtschaftlich vertretbarem geringfügigsten Umfang“ über die gesamte Laufzeit des Plans gestreckt werden. Auf den erntefähigen, 70 bis 80 Jahre alten Nadelholzbeständen im EU-Vogelschutzgebiet, das weite Teile des Hildesheimer Waldes umfasst, sollen in den nächsten zehn Jahren sechs Hektar Eichenkultur gepflanzt werden. In dem Gebiet gelten verschärfend die Auflagen des „Natura 2000“-Naturschutzrechts. Doch anders als Buchen, die sich durch Aussaat selbst verjüngen, müssen die lichthungrigen Eichen als kleine Stämme gepflanzt, mit Zäunen vor Wildverbiss geschützt, die Bäume später vereinzelt und die Schonungen regelmäßig gemäht werden, um zum Beispiel die Adlerfarne klein zu halten. Jeder Hektar
Eichenkultur kostet damit um 20 000 Euro – die Liebenburg aus dem laufenden Forstbetrieb finanzieren muss. Jedes Bäumchen kostet um zwei Euro. Eine hiebreife Eiche wiederum bringt um 500 Euro Ertrag. Der aktuelle Bestand liegt bei etwa 5200 Eichen, in Vogelschutzgebieten
aber darf höchstens ein Drittel der Bäume gefällt werden, um zum Beispiel dem seltenen Mittelspech die Lebensgrundlage zu erhalten. Das bedeutet, dass maximal 1734 Eichen geschlagen werden dürfen. Würden weiterhin so viele Bäume gefällt wie bislang wäre das Potential bereits in weniger als 30 Jahren erschöpft – dabei brauchen Eichen rund 100 Jahre, bis sie den ökologischen Ansprüchen einer „alten Eiche“ mit der markant groben Borke entsprechen. Derzeit werden pro Jahr noch 64 solcher Baumriesen gefällt – künftig dürfenes nur noch 25 Bäume sein, damit in den kommenden 70 Jahren immer noch Stämme entnommen werden dürfen. Der Verzicht auf 64 Bäume jährlich bringt dem Forst Einnahmeverluste von fast 20 000 Euro.

Doch dieses Opfer will der Arbeitskreis dem Haushalt zumuten. „Der Stadtwald ist ein naturnaher Erholungswald, der die vorrangige Aufgabe hat, natürliche Lebensgrundlagen dauerhaft zu sichern“, definiert der Arbeitskreis das künftige Leitbild für die Waldbewirtschaftung. Deshalb auch sollen Höhlen und Horstbäume markiert und dauerhaft erhalten werden, und markante Einzelbäume oder Baumgruppen, die durch außergewöhnliche Größe, Form oder Stärke ins Auge springen, von der Säge verschont bleiben. Absterbende Bäume, die keinen wirtschaftlichen Wert mehr darstellen, sollen im Wald bleiben und dort zu Humus zerfallen dürfen.

Zusätzlich liefert Hildesheim für den Naturschutz noch einen Bonustrack: Zwei mehrere hundert Meter lange Baumreihen entlang beliebter Wanderwege sollen ebenfalls nicht angetastet werden: Am Rennstein, der von der Steinbergstraße abzweigt, werden so 150 Jahre alte Feldahorne geschützt. Am alten Forsthaus hinter dem Wildgatter bleiben uralte Buchen stehen, bis sie ihr natürliches Ende gefunden haben.

 

Mitglieder_der_Arbeitsgruppe_Wald

Die alten Baumbestände sind besonders schützenswert. Detlef Hansen (SPD), Maren Burgdorf (OVH), Matthias Köhler (BUND), Martin Eggers (CDU), Thomas Kittel (Grüne) und Waltrud Kilian (Greenpeace) ringen um einen Kompromiss.

 

Öffentlicher Wald soll Vielfalt sichern

Bei seiner Waldwirtschaft steht Hildesheim nicht allein auf weiter Flur: Schon 2007 hat die Bundesregierung die „Nationale Strategie zur biologischen Vielfalt“ (NBS) beschlossen,um ihren Verpflichtungen aus dem internationalen „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“ nachzukommen. Die „NBS“ empfiehlt, bis 2020 fünf Prozent des deutschen Waldessich selbst zu überlassen. Die Hälfte des Waldes aber ist in privater Hand. Die Besitzer können kaum verdonnert werden, auf ihre Einnahmequelle zu verzichten. Deshalb, so das Umweltministerium, sollen Bund, Länder und Kommunen, denen die andere Hälfte des Waldes gehört, eine Vorbildfunktion übernehmen: Wenn sie zehn Prozent ihres Waldes sich natürlich entwickeln lassen, wäre das flächendeckende Fünf-Prozent-Ziel von UN und EUebenfalls erreicht. Auf eine Anfrage von Detlef Hansen Ende 2015 betonte Oberbürgermeister Ingo Meyer indes, dass die Stadt keinesfalls verpflichtet sei, die Zehn-Prozent-Marke einzuhalten. Meyer befürchtet für die Stadt einen „nicht akzeptablen wirtschaftlichen Nachteil“. Ha

 

Greenpeace-Kritik

Greenpeace geht das Konzept nicht weit genug. Waltrud Kilian hat dem Abschlussbericht eine Anlage beigelegt, der bis 2020 eine Anhebung der Schutzfläche auf zehn Prozent und eine Erhöhung des Holzvorrats fordert. Künftig sollten nur Einzelstämme entnommen, keine Harvester eingesetzt, keine invasiven Arten gepflanzt werden. Zudem seien viele der ausgewiesenen Schutzgebiete so klein, dass „eine echte natürliche Waldentwicklung kaum möglich erscheint“. ha

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung