Ornithologischer Verein: „Die Greifvögel sind nicht gefährlich“ /  Schutz des Nachwuchses steht an erster Stelle

Aus der HAZ vom 27 Mai 2017

Von Viktoria Hübner

Giesen. Der Greifvogel stürzt ohne Vorwarnung in Sekundenschnelle aus der Luft herab, hält mit ausgefahrenen Krallen Kurs auf eine Joggerin. Diese rettet sich vor der nahenden Attacke mit einem Satz in die Büsche. Eine 38-Jährige hat diese Szene am Donnerstagmorgen bei ihrer Laufrunde am Giesener Waldrand live erlebt. Es ist nicht der erste Vorfall im Landkreis Hildesheim. Immer wieder mal berichten Jogger und Spaziergänger von Raubvögeln, die unerwartet Angriffe aus der Luft auf die Erdbewohner gestartet hätten. Der Ornithologische  Verein zu Hildesheim (OVH) rät aber zur Besonnenheit, denn von den Vögeln gehe üblicherweise keine Gefahr aus. Himmelfahrt, 8 Uhr morgens. Wie jeden Tag macht sich die Giesenerin zu ihrer Joggingtour auf. Ihr Weg führt sie am Waldrand Rich-tung Emmerke entlang, vorbei an der Wohngruppen-Villa des Autismus- Zentrums Hannover, auf zur Höhe Breslauer Straße. Niemand sonst ist an diesem Morgen unterwegs.  Während die 38-Jährige Bergintervalle trainiert, taucht ein Greifvogel am Himmel auf, kommt immer näher, dann „verdammt nah“, berichtet die Frau, denkt sich in dem Moment aber noch nichts dabei. Plötzlich schießt das Tier erneut auf sie zu, fährt die Krallen aus. „Das war ein ganz blödes Gefühl“, berichtet die überrumpelte Giesenerin. Kurzerhand bringt sie sich in den Büschen am Wegesrand in Sicherheit. Zu Verletzungen kommt es nicht. Um was für eine Art Greifvogel es sich gehandelt hat, kann die 38-Jährige nicht sagen.

OVH-Vorsitzender Alistair Hill hat so einen Angriff selber noch nie erlebt, obwohl er und seine Kollegen schon Tausende Greifvogelhorste – auch im Landkreis Hildesheim – aufgesucht hätten, um Jungvögel zu fangen und zu beringen. Hill hat aber schon von Attacken etwa durch Mäusebussarde gehört, ebenso von Eulen oder Habichten. Vor allem, wenn die Tiere brüten und ihre Jungen aufziehen. „Ein Habicht kann schon aggressiv werden“, räumt Hill ein. Aber nur dann, wenn die Kleinen das Nest verlassen und die Elterntiere sie dabei im Auge behalten. Ein Jogger könne dann als Eindringling im Revier angesehen werden. In der Regel dreht  das Tier aber in letzter Sekunde ab, belässt es bei einem Scheinangriff. Einen sogenannten Vergrämungsflug nennen das die Experten.

Ziel ist, dem Störenfried einen Schrecken einzujagen. Angst zur Sorge besteht laut Hill nicht: „Die Greifvögel sind nicht gefährlich.“  Niemand müsse Angst haben, dass die Greifer ihre Krallen irgendwo reinrammen. In nordischen Küstenabschnitten könne das eher der Fall sein – beispielsweise bei den Seeschwalben. Dort würde Hill zu einer Kopfbedeckung raten. Die Joggerin aus Giesen will trotzdem für mindestens zwei Monate die Ecke am Waldrand beim Joggen auslassen. Zum einen, weil sie den Vogel bei der Aufzucht in Ruhe lassen will, zum anderen möchte sie nicht riskieren, dass doch noch etwas passiert.

In der Vergangenheit war es in der Region Hildesheim immer wieder zu ähnlichen Zwischenfällen gekommen. Der Hottelner Ernst-August Meyer hat zwischen 2012 und 2014 zehn Angriffe – vermutlich durch einen Bussard – erlebt, immer an derselben Stelle direkt unter einer Hochspannungsleitung in der Feldmark. Dort hatte der Vogel ein Nest. Im Sommer 2015 stürzte sich ein Bussard am Waldrand in der Nähe der Hildesheimer Steinbergstraße auf zwei Joggerinnen.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung