Landwirte aus Raum Barnten und der Börde glauben nicht mehr an temporäres Problem

Von Tarek Abu Ajamieh

Kreis Hildesheim. In der Diskussion um das immer massivere Auftreten von Gänsen auf Feldern vor allem im nördlichen Landkreis hat sich eine Gruppe von Landwirten aus besonders betroffenen Gebieten noch einmal intensiv mit der Materie beschäftigt. Das Fazit der Bauern aus dem Raum Barnten/Sarstedt und der Hildesheimer Börde: Dass immer mehr Gänse dort nach Futter suchen, hat weniger mit dem Ackerbau als vielmehr mit landschaftlichen Veränderungen im Zuge des Kiesabbaus zu tun – und die Hoffnung, dass die meisten der hungrigen Vögel nur Kurzzeit-Gäste sind, sei wohl vergeblich. Die Landwirte sehen negative Auswirkungen nicht nur für ihre Betriebe, sondern auch für Spaziergänger und Jogger in der Feldmark.„Wir beobachten, dass die Wildgänse in unseren Dörfern heimisch geworden sind“, sagt Landwirtin Anne Fuhrberg aus Söhlde. „Von ziehenden oder rastenden Vögeln kann schon lange nicht mehr die Rede sein, sie sind hier sesshaft geworden.“ Das gelte vor allem für Graugänse, doch Nil- und Saatgänse würden ihnen offenbar folgen und dabei unter anderem „Ureinwohnern“ wie den Enten an hiesigen Gewässern mächtig Druck machen.

Ein Gänse-Monitoring des Landwirtschaftsministeriums bei Barnten bestätige diese Eindrücke. Das vergangene Jahr mit seinen vielen Regenfällen und teilweise nicht abgeernteten Maisfeldern hat den Gänsen den Aufenthalt zwar noch einmal angenehmer gemacht, vermutet Fuhrberg. So seien die Vögel in den vergangenen Jahren vor allem an den Kiesteichen zwischen Barnten und Giften zu finden gewesen, in diesem Jahr habe es sie verstärkt auch in Richtung Schliekum gezogen, um dort auf nassen, teilweise überschwemmten Böden nach Nahrung zu suchen.

Doch an der Landwirtschaft an sich habe sich in der Region in den vergangenen 100 Jahren nicht allzu viel  Grundsätzliches geändert, abgesehen davon, dass inzwischen auf rund acht Prozent der Fläche Mais wächst. Hauptgrund dafür, dass die Zahl der Tiere in den vergangenen Jahrzehnten massiv zugenommen habe, sei ein ganz anderer. Nämlich der Kiesabbau samt anschließender Renaturierung, der gerade das Leinetal in eine Seenlandschaft verwandelt hat, die es hier so zuvor nie gegeben habe. So seien optimale Lebensbedingungen fürWildgänse entstanden, so Fuhrberg: „Ackerbau in einer Landschaft ohne Wasserflächen verlockt hingegen keine Gans zum Sesshaftwerden.“

Die zunehmend milden Winter ermunterten die Tiere überdies, sich die übliche Reise gen Süden zu sparen. Folge: „Wir gehen von einer exponentiellen Vermehrung der Gänse aus, schon jetzt wird ihr Lebensraum hier langsam knapp.“ Jagen helfe da auch nicht viel weiter.Zwar ließen sich Gänse schon mit wenigen Schüssen von einer bestimmten Ackerfläche vertreiben – laut Fuhrberg konnte beispielsweise der Abschuss von vier Jungtieren im Vorjahr so einen Schaden von 25 000 Euro verhindern.

Dauerhaft ließen sich die Bestände aber nicht reduzieren oder auch nur stabil halten. Zumal Gänse sehr aufmerksam und vorsichtig seien: „Im Römischen Reich wurden sie nicht umsonst als Wachtiere gehalten.“ Die Euphorie heimischer Ornithologen vermögen die Söhlderin und ihre Mitstreiter jedenfalls nicht zu teilen. Und hoffen, dass sich ein so verregneter Sommer wie 2017, in dem nicht alle Felder abgeerntet werden konnten und vielfach Wasserflächen auf den Äckern entstanden, nicht wiederholt. Denn der habe „sicherlich zu einem langfristigen Anstieg der Population beigetragen“. Was nicht nur für Landwirte zum Problem werden könne: „Wir wollen ja auch keine Gänse-übervölkerten Badeseen und keine von Gänsekot bedeckten Joggingstrecken”

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung 20.01.2018