Vogelkundler zählen am Hohnsensee Dutzende von geschützten Vogelarten – und warnen vor einer Verlegung des Rundweges dicht ans Wasser.

Der Ornithologe Alistair Hill, Vorsitzender des OVH, beobachtet das bunte Treiben auf dem Hohnsensee: Das künstliche Gewässer ist längst ein wichtiger Überwinterungsplatz für Hunderte von Wasservögeln geworden. Auf Veränderungen reagiert die Natur sehr sensibel. Foto Werner Kaiser

Von Marita Zimmerhof

Krök“. Als die Morgensonne über dem Hohnsensee aufsteigt und ihre Strahlen in zahllosen Glitzerpunkten reflektiert werden, können die Blässhühner nicht mehr an sich halten. „Krök“, „Krök“, klingt es aufgekratzt aus dutzenden Kehlen. Spaziergänger bleiben stehen, um das muntere Treiben der Vögel mit der leuchtend weißen Blesse auf Stirn und Schnabel zu beobachten. An die 150 Tiere, schätzt Alistair Hill, der Vorsitzende des Ornithologischen Vereins (OVH), dürften auf dem innerstädtischen Baggersee ihr Winterquartier bezogen haben.

Blässhühner sind nicht nur einer der häufigsten Wasservögel in unseren Breiten, die etwas pummelig wirkenden Federknäule aus der Familie der Rallen stellen auch auf dem Hohnsensee die größte Population. Das Gewässer teilen sie sich einträchtig mit anderen Arten: mit schwarz-weißen Reiherenten, Tafelenten mit kastanienbraunem Kopf, Stockenten, bei denen nur die Männchen das auffallende grünmetallische Gefieder am Kopf tragen.

Trotz der frühen Stunde hat das Gewässer schon etliche Menschen angelockt. Mütter mit Kinderwagen, Jogger mit Kopfhörer im Ohr, Rentner mit forschem Schritt und auch eine ganze Schar von Ornithologen, die leicht an ihren Ferngläsern und Kameras mit riesiger Brennweite zu erkennen sind.

Komplett umrunden lässt sich der See bislang allerdings nicht. Wer von Süden kommt, wird am Westufer in Höhe der Sportplätze auf schnurgerader Piste entlang des Kupferstrangs immer weiter vom Wasser weggeführt. Bis zur Innerstebrücke kann man den See bald nur noch erahnen, zumal Büsche und Bäume den Blick verstellen.

Schon vor ein paar Jahren hatte der Verein „Hildesheim blüht auf“ die Idee, einen ufernahen Weg zu schaffen, auf dem man den See komplett umrunden kann. Nun hat der Bund für das Projekt „Zukunft Stadtgrün“ Geld für kommunale Konzepte ausgelobt – und damit der Vision eines Rundwegs neuen Auftrieb verschafft. In den politischen Gremien wird derzeit diskutiert, konkrete Ergebnisse gibt es noch nicht.

Dennoch sind die Mitglieder des Ornithologischen Vereins hellhörig geworden. Über die ersten in die Öffentlichkeit gekommenen Ideen zeigt sich Hill „nicht sehr erfreut“. Jeder Eingriff in die Natur könnte das labile Miteinander der Tierwelt ziemlich leicht aus dem Gleichgewicht bringen. Die Wäldchen am West- und Ostufer des Sees etwa böten Park- und Gartenvögeln einen idealen Lebensraum. Rotkehlchen, Blau- und Kohlmeisen, Heckenbraunellen und auch die winzigen Zaunkönige huschen auf der Suche nach Futter hier durch die noch kahlen Äste. Bald werden sie brüten – und in den dann belaubten Zweigen Deckung vor Fressfeinden finden.

Ein wichtiger Rückzugsort ist für andere Vogelarten der Schilfgürtel am Südufer. Rohrammern und Rohrsänger ziehen hier ihre Jungen auf, die Blässhühner nutzen die übermannshohen Halme als Schutz für ihre Nester. Nach Hills Geschmack müsste dieser Schilfgürtel noch breiter werden, dafür aber müsste die ziemlich schnell steil abfallende Böschung unter Wasser aufgeschüttet werden, um den Wurzeln Halt zu bieten. Ob aber genau solche Ideen in das Rundwegkonzept einfließen, ist offen.

Wie schnell der Mensch ein scheinbar naturnahes Gewässer beeinträchtigen kann, zeigt sich unterhalb des Restaurants: Senkrecht aufgeschichtete Mauersteine machen es Jungtieren unmöglich, die Grenzlinie zwischen Wasser und Wiese zu überqueren. „Eine tödliche Gefahr“, sagt Hill kopfschüttelnd. Selbst die Freitreppe hinunter zum Wasser werde nur von Fußgängern genutzt, die Enten füttern wollten. Die Verbotsschilder der Stadt sind ganz im Sinne des Ornithologen: „Das verfütterte Toast- und Weißbrot enthält keine Proteine, ist für die Tiere viel zu salzig.“

Die reglos spähenden Graureiher und die pechschwarzen Kormorane, die auf ihren Beobachtungspfählen ihren Blick schweifen lassen, kann man mit diesen Brocken ohnehin nicht locken: Sie sind Fischfresser – und konkurrieren damit allenfalls mit dem Mittelsägerweibchen, das sich zum ersten Mal und als einziges seiner Art entschieden hat, den Winter auf dem Hohnsensee zu verbringen. Sein Schnabel ist scharf gezackt: Ein Fisch, der einmal gepackt wurde, hat kaum eine Chance zu entkommen.

Mittelsäger gehören zu den Meerenten, leben für gewöhnlich nahe der Küste in Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Kolonie an der Innerste bei Derneburg ist laut Hill die einzige binnenländische in ganz Deutschland. Was das Weibchen nach Hildesheim verschlagen hat, wo es herkommt? Keiner weiß es.

Süßwasserseen mit röhrichtbewachsenen Ufern sind dagegen das typische Habitat der Zwerg- und Haubentaucher. Mit dem Entstehen der Kiesteiche haben sich beide Arten ausgebreitet – um bald danach wieder in Existenznot zu geraten. Ihr roter Kopfschmuck am Balzgefieder weckte nämlich die Begehrlichkeiten der Hutmacher, die ihre Kreationen gern mit den bunten Federn schmückten.

Das Haubentaucherpärchen, das in der Sonne balzt, muss solche Nachstellungen nicht fürchten. Männchen und Weibchen stehen sich gegenüber, schütteln heftig die Köpfe und stellen ihre Federhauben auf. Steigert sich die Ekstase weiter, paddeln die beiden Lappentaucher so heftig mit den Füßen, dass es aussieht, als könnten sie übers Wasser laufen. Doch der verliebte Erpel holt sich vorerst noch eine Abfuhr. „Sie hat noch nicht ihr Prachtgefieder angelegt“, sagt Hill mit Blick auf die noch weißen Wangen.

Der Ornithologe befürwortet es ausdrücklich, dass Spaziergänger die Natur am See genießen können. Dafür sollte aber kein neu trassierter Weg mit weiterem Naturverbrauch angelegt, sondern der bestehende verbessert werden. Die heutige Schotterpiste ist an vielen Abschnitten steinig und löchrig, an manchen Stellen nach Niederschlägen auch matschig. Gerade für ältere Leute sei sie nur schwer passierbar. „Ich sehe aber keinen Bedarf, dass Mountainbiker am See entlangrasen.“ Die vielerorts lediglich zwei Meter breite Trasse sei auch viel zu schmal, um alle Nutzer – Fußgänger, Jogger, Radler, Mountainbiker oder auch Skater – auf einen gemeinsamen Weg zu schicken.

Nach den derzeitigen Ideen soll der neue Weg über das Gelände des Schwimmbads verlaufen. Noch einmal hat Hill dafür nur Kopfschütteln übrig. Die strandartige Uferlinie sei ein wichtiger Ruhepunkt für Wasservögel. Denn auch wenn die sich auf dem See pudelwohl fühlen: Ab und an wollen auch sie festen Boden unter den Füßen haben. Und dafür ist der See so, wie er jetzt ist, genau richtig.

©Hildesheimer Allgemeine Zeitung 26.02.2019