Presseinformation des BfN: Berlin/ Bonn, 19. Mai 2020:

Der Natur in Deutschland geht es insgesamt nicht gut genug.

Neben positiven Entwicklungen in Wäldern und ersten
Lichtblicken in Dörfern und Städten ist der Zustand der Natur vor allem
in der Agrarlandschaft überwiegend schlecht. Das geht aus dem “Bericht
zur Lage der Natur” hervor, den Bundesumweltministerin Svenja Schulze und
die Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, Beate Jessel, heute in
Berlin vorstellten. Der Bericht basiert auf Daten, die nur alle sechs
Jahre erhoben und an die EU-Kommission berichtet werden: insgesamt rund
14.000 Stichproben von den Sandbänken in der Nordsee bis zu den
Lärchenwäldern in den Alpen sowie vielen weiteren Beobachtungen aus dem
bundesweiten Vogelmonitoring.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze: “Die Generalinventur unserer
biologischen Vielfalt in Deutschland zeigt ein sehr gemischtes Bild. In
manchen Teilen des Landes erholt sich die Natur: Vielen Buchenwäldern
geht es gut, in den Wäldern und Siedlungen gibt es wieder mehr Vögel.
Auch die Renaturierung von Flüssen und Auen trägt zur Erholung der Natur
bei. Vor allem in der Agrarlandschaft geht es der Natur dagegen
besorgniserregend schlecht. Das gilt besonders für Schmetterlinge und
andere Insektenarten, die auf blütenreiche Wiesen und Weiden angewiesen
sind. Denn diese wichtigen Ökosysteme gibt es in der intensiven
Landwirtschaft immer seltener. Starke Verluste sehen wir auch bei vielen
Vogelarten der Agrarlandschaft wie Kiebitz und Rebhuhn.”

BfN-Präsidentin Prof. Dr. Beate Jessel: “Artenreiche Wiesen und Weiden
verzeichnen sowohl in der Fläche als auch in ihrer Artenvielfalt starke
Rückgänge. Dieser Trend setzt sich seit dem ersten nationalen FFH-Bericht
im Jahr 2001 ungebrochen fort. Mehr als die Hälfte aller
FFH-Grünland-Lebensraumtypen befindet sich in Deutschland in einem
ungünstig-schlechten Erhaltungszustand. Der Schutz des Grünlands muss
deshalb nicht nur auf europäischer, sondern auch auf nationaler Ebene
verbessert werden. Wenn wir Arten und Lebensräume erfolgreich schützen
und erhalten, kann die Natur ein Teil von Lösungen sein. Auch das
verdeutlicht unser Bericht: Renaturierte Feuchtgebiete, intakte Moore und
nachhaltig genutzte Wälder können entscheidend zu Klimaschutz und
Klimaanpassung beitragen.”

Im Einzelnen sind 25 Prozent der untersuchten Arten in einem günstigen
Erhaltungszustand, darunter der Seehund und die Kegelrobbe in der Nordsee
oder der Steinbock in den Alpen. 30 Prozent sind in einem unzureichenden
Zustand. 33 Prozent sind in einem schlechten Zustand, das betrifft vor
allem Schmetterlinge, Käfer und Libellen. Bei den Lebensräumen sieht es
ähnlich aus. Hier sind 30 Prozent in einem günstigen Zustand, zum
Beispiel verschiedene Wald-Lebensräume, alpine Heiden und Gebüsche sowie
Fels-Lebensräume. 32 Prozent weisen einen unzureichenden Zustand auf,
während sich 37 Prozent der untersuchten Lebensräume in einem schlechten
Zustand befinden, vor allem die landwirtschaftlich genutzten
Grünland-Flächen, aber auch Seen und Moore.

Erfolge gibt es vor allem dort, wo aktiv in Naturschutz investiert wird,
wie zum Beispiel bei der Renaturierung von Flüssen. Das zahlt sich nicht
nur für Tier- und Pflanzenarten, sondern auch für die Wasserqualität und
den Hochwasserschutz aus. Hingegen zeigt sich, dass sich dort, wo
Lebensräume intensiv bewirtschaftet werden, der Zustand der Arten weiter
verschlechtert hat, wie bei vielen Insektenarten und besonders dramatisch
bei Vogelarten in der Agrarlandschaft.

Schulze: “Auf vielen Wiesen und Weiden wird so viel gedüngt und so oft
gemäht, dass sie für die Natur immer wertloser werden. Hier ist eine
Trendwende dringend nötig. Erste Schritte haben wir bereits getan mit dem
neuen Düngerecht und dem Aktionsprogramm Insektenschutz.” Schulze
kündigte an, als nächsten Schritt ein Insektenschutzgesetz auf den Weg zu
bringen, das unter anderem artenreiches Grünland und Streuobstwiesen
besser schützt. Der größte Hebel für ein Umsteuern sei aber die
EU-Agrarförderung, die gerade neu verhandelt wird. “Das Geld sollte so
eingesetzt werden, dass die Landwirtinnen und Landwirte für das honoriert
werden, was sie für die Gesellschaft leisten – und dazu gehört ganz
zentral der Naturschutz”, so Schulze.

Im Zuge der Corona-Pandemie ist auch die Bedeutung intakter Ökosysteme
weltweit stärker ins Blickfeld geraten. Denn wenn Menschen in bislang
weitgehend natürliche Ökosysteme vordringen, steigt das Risiko, dass
neuartige Viren von der Tierwelt auf die Menschen übergehen. “Aber nicht
nur in der Pandemie-Prävention, auch im Kampf gegen den Klimawandel wirkt
der Naturschutz wie ein Impfstoff. Eine Natur mit intakten Mooren, Auen
und naturnahen Wäldern ist besser gegen Dürren gewappnet”, sagte Schulze.
“Eine intakte Natur ist Voraussetzung für eine krisenfeste Gesellschaft.
Darum bin ich zuversichtlich, dass Naturschutz jetzt zu einem
unverzichtbaren Teil unseres Weges aus der Krise wird.”

Hintergrundinformationen:
Alle sechs Jahre nehmen Bund und Länder eine Bewertung des Zustands der
Natur in Deutschland vor. Dazu werden umfassende Berichte erstellt, die
durch die Bundesregierung an die EU-Kommission zur Erfüllung der
europäischen Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie und der
EU-Vogelschutz-Richtlinie übermittelt werden. Grundlage für die Analyse
ist ein Datenschatz, den ehrenamtliche Naturschützer*innen und Behörden
bundesweit zusammengetragen: In rund 14.000 Stichproben haben sie im
Zeitraum von 2013 bis 2018 den Zustand von Tieren, Pflanzen und
Lebensräumen erfasst, die über die europäischen FFH- und
Vogelschutzrichtlinien geschützt sind. Für den Vogelschutzbericht liefern
die Programme des bundesweiten Vogelmonitorings eine weitere wichtige
Datenbasis. Aus den Daten lassen sich auch Rückschlüsse auf die Lage der
Natur in Deutschland insgesamt ziehen.

Das ausführliche Informationspapier “Die Lage der Natur in Deutschland”
sowie die Ergebnisse von FFH- und Vogelschutzbericht finden Sie unter
[1]www.bmu.de/DL2475.
Steckbriefe ausgewählter Arten und Lebensräume finden Sie unter
[2]www.bmu.de/WS5472.

Zum FFH-Bericht 2019:
[3]www.bfn.de/themen/natura-2000/berichte-monitoring/nationaler-ffh-bericht.h
tml