Rundbrief DDA am 3. Dez. 2020

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Cover EBBA2 © EBCC

Aktuelle Informationen zur Verbreitung und Häufigkeit der Vögel Europas sind wichtige Grundlagen für den Schutz der Vogelwelt. Vor zehn Jahren startete der European Bird Census Council (EBCC) das ehrgeizige Projekt, die europaweiten Kartierungen aus den 1980er Jahren zu wiederholen, den Europäischen Brutvogelatlas (EBBA1) zu aktualisieren und Veränderungen gegenüber der damaligen Verbreitung aufzuzeigen. Dank der engen Zusammenarbeit mit den Partnerorganisationen – in Deutschland dem Dachverband Deutscher Avifaunisten – konnte die selbstgestellte Herkules-Aufgabe nicht nur erfolgreich gemeistert, sondern sogar dem ursprünglich aufgestellten Zeitplan folgend „fristgerecht“ umgesetzt werden. Schweizer Präzisionsarbeit, die die Handschrift der Erstautorin Verena Keller von der Schweizerischen Vogelwarte Sempach trägt. Womit keineswegs die immense Leistung des gesamten Herausgeberteams geschmälert werden soll, das die auf über 11 Millionen km² auf systematische und standardisierte Weise gesammelten Vogeldaten auswertete und die Ergebnisse zu diesem im wahrsten Sinne des Wortes schwergewichtigen Werk zusammentrug.
Während der Kartierphase 2013-2017 wurden 539 in Europa heimische Brutvogelarten registriert, von denen 40 Arten endemisch vorkommen, also nur in Europa brüten. Von weiteren 59 Arten konzentriert sich die Verbreitung zumindest weitgehend auf Europa. Wenige Arten wie Bachstelze oder Kuckuck wurden in mehr als 85% aller untersuchten 50-km-Quadranten entdeckt. Mehr als die Hälfte aller Arten ist hingegen auf weniger als 10% des untersuchten Gebiets beschränkt. 57 nicht-heimische Vogelarten brüten in Europa. Eine von zehn Vogelarten Europas stammt also aus anderen Regionen der Erde. 39 dieser Arten wurden in den letzten 30 Jahren zum ersten Mal als Brutvogel in Europa festgestellt.

Trotz starker Veränderungen der Landschaft und des Klimas in Europa sind nur sehr wenige Arten, wie z.B. das Laufhühnchen, komplett verschwunden. Doch wurden innerhalb der letzten 30 Jahre bedeutende Veränderungen der Avifauna festgestellt: 35% aller heimischen Arten konnten ihr Brutareal erweitern. Dazu zählen z.B. Kuhreiher, Schwarzkopfmöwe und Zitronenstelze. Bei 25% aller heimischen Arten wurde hingegen ein Rückgang des Verbreitungsgebiets ermittelt. Beispiele mit deutlichen Abnahmen sind Kampfläufer, Blauracke oder auch der Ortolan – die Vogelart auf dem Umschlag des neuen Atlas. Bemerkenswert ist, dass sich die Brutgebiete der Vögel Europas durchschnittlich um 28 km nach Norden verschoben haben – etwa 1 km pro Jahr.

Sergi Herrando vom Katalanischen Ornithologischen Institut und Mitglied des EBBA2-Koordinationsteams betont: „Die Regionen im Norden des Kontinents haben Arten hinzugewonnen. Arealverluste wurden häufig bei Vogelarten festgestellt, die für landwirtschaftlich genutzte Flächen und Grünländer charakteristisch sind, insbesondere im Mittelmeerraum sowie in West- und Mitteleuropa. Landnutzung und Klimawandel scheinen die Hauptursachen für diese Veränderungen zu sein“.

Petr Voříšek, von der Tschechischen Gesellschaft für Ornithologie und ebenfalls Mitherausgeber, ergänzt, dass der europäische Naturschutz auch Erfolge vorweisen kann: „Viele Arten, die für den europäischen Vogelschutz von Belang sind, erlitten Arealverluste, aber es gibt auch positive Beispiele. Einige Arten, die durch internationale Gesetzgebung geschützt sind, wie der Seeadler, haben ihre Verbreitung in Europa ausgeweitet. Auch die Zunahme der Brutverbreitung einer Reihe von Arten der Feuchtgebiete, wie der Rohrdommel, ist u.a. auf die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen zurückzuführen.

EBBA2 ist eines der größten bürgerwissenschaftlichen Projekte, das sich auf die Kartierung der biologischen Vielfalt konzentriert. Insgesamt haben rund 120.000 Feldforscher Daten zum Atlas beigetragen, die große Mehrheit davon ehrenamtlich. Verena Keller hebt die ausgezeichnete Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten hervor: „EBBA2 war nur möglich dank des EBCC-Netzwerkes von Organisationen und Einzelpersonen aus ganz Europa, die sich einem gemeinsamen Ziel verschrieben haben und über alle Grenzen und Barrieren hinweg zusammenarbeiten“.

Ergänzend zum Druckwerk soll zu einem späteren Zeitpunkt eine interaktive Online-Version der Atlaskarten veröffentlicht werden. Mark Eaton, EBCC-Vorsitzender, blickt in die Zukunft: „Die unglaubliche Fülle an neuen Erkenntnissen durch die dem Atlas zugrunde liegenden Daten wird dazu dienen, vielfältige Forschungsarbeiten zu ermöglichen und die Erhaltung der Artenvielfalt in ganz Europa für die kommenden Jahrzehnte zu unterstützen“.