Erfassung der Nachtigallen als „Leitart“ lässt auch Rückschlüsse auf andere Vögel zu

Äußerlich recht unscheinbar, aber ziemlich gut bei Stimme: die Nachtigall. Foto: Alistair Hill

Von Thomas Wedig

Das Gewand der Nachtigall ist eher schlicht: Das Gefieder ist bräunlich, die Unterseite hell, der Schwanz rötlich. Aber: „Wer so schön singen kann, braucht kein prachtvolles Gefieder“, meint der Ornithologische Verein zu Hildesheim (OVH). Und der Gesang ist so eindrucksvoll und einprägsam, dass viele Menschen ihn kennen – und erkennen. Das macht die Zählung der Nachtigallen relativ einfach, vorausgesetzt, es gibt genügend Helferinnen und Helfer. Die sucht der OVH jetzt, da die ersten Nachtigallen als Zugvögel aus ihren afrikanischen Winterquartieren zurückkehren.Die Nachtigall gilt für die Ornithologen als Leitart für andere Vögel, die wie sie vor allem in Hecken und Büschen nisten, in Landschaften mit dichter Deckung, bevorzugt in der Nähe von Gewässern oder feuchten Niederungen. Geht es der Nachtigall gut oder schlecht, kann das auf andere Vogelarten übertragen werden. Die Standorte werden dafür punktgenau in Karten eingetragen.

Das wichtigste Merkmal der Nachtigall ist der Gesang, den der OVH geradezu schwärmerisch beschreibt: Er habe Komponisten zu meisterhaften Werken inspiriert. „Zarte, schmelzende und schluchzende Töne“, schreibt der Verein, „wechseln mit schmetternden, harten Abschnitten, dem Schlagen.“ Der OVH bietet bei Spaziergängen am 8. und 11. Mai die Gelegenheit, den Gesang unter fachkundiger Anleitung zu erleben. Näheres zu den Zeiten und Treffpunkten finden Interessierte auf www.ovh-online.de.

Die Nachtigallen trällern freilich nicht aus Spaß. Die Männchen, die einige Tage vor den Weibchen aus dem Winterquartier zurückkommen, machen damit auf sich aufmerksam und markieren ihr Revier. Sie signalisieren den Frauen in ihrer kleinen Vogelwelt: Teuerste, hier bin ich.

Die Ornithologen nutzen ihren Aufruf zum Start der Nachtigall-Saison, um mit einem Vorurteil aufzuräumen: Wenn Hecken und Büsche „auf den Stock gesetzt“, also intensiv zurückgeschnitten werden, macht sie das nicht kaputt – ganz im Gegenteil, die Pflanzen werden durch diese Pflege erhalten. Werden sie sich selbst überlassen, wachsen an den Standorten Bäume. Hecke oder Busch werden immer lichter. Die Folge: Die Deckung für die Nachtigallen oder andere am Boden lebende Tierarten wird zu dünn. Vögel oder kleine Säuger machen sich dann aus dem Staub.

„Das wichtigste Ziel bei der Erfassung der singenden Nachtigallen ist es, Daten zum Schutz des Lebensraums zu bekommen“, erläutert der OVH. Die Daten werden auf Anfrage zum Beispiel an Kommunen weitergeleitet und können bei der Pflege von Grünflächen berücksichtigt werden. Die Stadt Hildesheim ist laut OVH dabei, ein Kataster ihrer Grünanlagen zu erstellen, und will die Pflege nach den Vorschlägen der Ornithologen und anderer Naturschutzverbände richten. So können die Länge und Höhe des Heckenschnitts sowie feste Pflegezyklen vereinbart werden.

Bei der Erfassung der Nachtigallen gibt es einen personellen Wechsel: Karl-Heinz Rosanowski hat sie viele Jahre betreut und geleitet. Nun übernimmt Wolfgang Pahl diese Aufgabe. Er nimmt Hinweise auf Nachtigall-Beobachtungen per E-Mail an nachtigall@ovh-online.de oder telefonisch unter der Nummer 0162 / 7452423 entgegen. Der OVH bittet darum, möglichst den genauen Ort der Beobachtung mit Uhrzeit, Datum und Zahl der Nachtigallen anzugeben. Für Rückfragen sind Name und Adresse wichtig. Die Erfassung hat im Hildesheimer Land seit mehr als 75 Jahren Tradition. Schon vor der Gründung des OVH im Jahr 1953 wurde damit begonnen.

Aus der Hildesheim Allgemeine Zeitung vom 13. April 2022