Aus der HAZ vom 22. Oktober 2015 Mehr Urwald wagen
Neues Landesprogramm: Forstgebiete sollen sich ohne menschlichen Einschlag entwickeln
von Tarek Abu Ajamieh
Kreis Hildesheim. Ein dichter Dschungel bedeckt das Land vom Steinhuder Meer bis zum Harz. Zwischen umgestürzten Baumriesen, engem Buschwerk und hoch aufragenden Buchen tummeln sich ungezählte Tierarten. Nur vereinzelt haben sich Menschen Platz für Felder und Siedlungen freigerodet. Doch wer von einem Ort zum anderen will, muss sich auf eine gefahrvolle Wanderung durch den Urwald begeben – und hoffen, keine Wölfe oder Braunbären zu treffen.
Zumindest letztere dürften hier auch in den nächsten Jahrhunderten nicht wieder auftauchen. Doch einen Hauch des urzeitlichen Dschungels wollen Land und Umweltverbände jetzt wieder aufle- ben lassen – mit dem „Programm Natürliche Waldentwicklung“ (NWE). Das Ziel: Zehn Prozent der Waldfläche in öffentlicher Hand in Niedersachsen sollen sich natürlich entwickeln und nicht mehr bewirtschaftet werden. Dafür wurden jetzt landesweit zahlreiche Waldstücke definiert – auch in Stadt und Landkreis Hildesheim.
Das Umwelt- und das Landwirtschaftsministerium stellten gestern die 27 800 Hektar Landeswaldfläche vor, die bereits aus der forstlichen Nutzung genommen sind oder genommen werden sollen. 5800 Hektar fehlen noch, um das Zehn-Prozent-Ziel zu erreichen. Deshalb sind nun Bürger, Kommunen und Ver-bände eingeladen, bis zum 18. Dezem ber Vorschläge zu machen, welche Flächen für Artenvielfalt und Naturerleben gesichert werden sollen, um die Lücke zu füllen.
Wobei „Lücke“ ein gutes Stichwort ist. Denn die geplanten Urwaldflächen bilden auf der Karte meist nur einen Flickenteppich, und dafür ist der Hildesheimer Wald ein gutes Beispiel. Dort finden sich westlich und südlich von Hildesheim zwar viele kleine Inseln, doch die umfassen oft weniger als einen Hektar Fläche. Das größte zusammenhängende Gebiet im Landkreis sind gut sieben Hektar Buchenwald auf dem Tosmarberg oberhalb des Diekholzener Ortsteils Söhre sowie mehrere Hektar Roterlen-Bestand nebenan.
Genau das kritisieren die Umweltverbände BUND, Nabu und Greenpeace, auch wenn sie das Land grundsätzlich sehr für sein Engagement in Sachen „Sicherung des niedersächsischen Naturerbes“ loben. Doch seien „die bisher aus- gewählten Flächen räumlich noch nicht so verteilt, dass sie ein funktionierendes Verbundnetz ergeben“. Außerdem seien naturnahe Laubwälder gegenüber den Fichtenwäldern des Harzes bisher unterrepräsentiert. Und: „Viele der ausgewählten Flächen sind sehr klein und sollten zusammengelegt werden, weil erst ab 20 Hektar eine echte natürliche Waldentwicklung möglich ist.“ Um das zu er- reichen, wäre zum Beispiel im Hildesheimer Wald, aber auch im Sackwald und in den Sieben Bergen, wo ebenfalls Areale für die natürliche Waldentwicklung vorgesehen sind, noch einiges zu tun. Zudem fordern die Umweltschützer „mindestens zwei Wildnisgebiete mit jeweils mindestens 1000 Hektar in den alten Buchenwäldern des Sollings und Süntels als Leuchtturmgebiete“. Die bislang größten in Niedersachsen vorgesehenen Flächen finden sich im Harz sowie in Deister, Süntel, Hils und Solling.
Details und Karten im Internet auf www.nw-fva.de.
© Hildesheimer Algemeine Zeitung
Anmerkungen (AH)
Hier ist die angesprochene Karte. Es zeigt eine auf eindrucksvoller Art und Weise eine sehr schlechte Situation in Kreis Hildesheim.Such der Ornithologischer Verein und der Paul-Feindt-Stiftung beklagen diesen miserablen Zustand. Im Bereichen des landeseigenen Klosterforst ist die Lage noch sehr viel schlechter. Die mangelhafte Waldmanagement der letzten 20 Jahren führt dazu, dass unsere Wälder für den nächste 3 Generationen in einem sehr schlechten Zustand sich befinden werden. Die Errichtung von wenigen kleinen inselartigen Refugien wird wenig daran ändern. Doch ist jeder Anfang zu begrüßen.