Stieglitz (W. Bussler)

Stieglitz (W. Bussler)

Mit der Wahl zum Vogel des Jahres 2016 wird der fortschreitende Strukturverlust in unserer Kulturlandschaft ins Blickfeld gerückt: Der Stieglitz ist ein Botschafter für mehr Artenvielfalt und Farbe in Agrarräumen und Siedlungsbereichen.

Der Stieglitz fällt auf. Der bunte, lebhaft zwitschernde Harlekin unter den Finkenvögeln hat gerade auch für Laien einen unverwechselbaren Charakter und Erkennungswert. Stieglitze sind außerhalb der Brutzeit sehr gesellig und streifen in Familien oder kleinen Trupps von mehr als 20 Vögeln umher. Im Spätsommer und Herbst sammeln sich oft auch größere Schwärme zur Nahrungssuche, vorzugsweise auf Ruderalflächen oder an Schlafplätzen. Gewöhnlich machen die Vögel durch häufige Kontaktrufe auf sich aufmerksam. Stieglitze zogen bis vor etwa drei Jahrzehnten zumeist im Herbst Richtung SW in Winterquartiere nach Belgien und Frankreich bis Nordspanien. Seitdem halten sie sich vermehrt ganzjährig, auch in schneereichen Wintern wie z.B. 2010/11, bei uns auf und besuchen die Futterplätze. Dies bietet eine weitere Gelegenheit, die Vögel aus nächster Nähe kennen zu lernen. Insofern ist der Stieglitz gewiss ein gut geeigneter ‚Botschafter‘ für bedrohte Natur und Artenvielfalt.

Der NABU geht in diversen Pressemitteilungen und Veröffentlichungen davon aus, dass sich der Bestand der Art in Deutschland seit 25 Jahren nahezu halbiert hat. Hinweise auf den Verlust von Lebensräumen in Gärten und Parks, auf Brachflächen oder Ödland, aber auch auf die Vernichtung von Wildkräutern auf Randstreifen durch den Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel sind nur allzu berechtigt, treffen aber auch für viele andere Sämereien fressende Spezies zu. In welchem Ausmaß also speziell der Stieglitz bedroht ist, erforderte freilich eine differenziertere Betrachtung.

Der Stieglitz ist in Niedersachsen (wie allgemein in Deutschland) flächendeckend von den Ostfriesischen Inseln bis in höhere Lagen des Westharzes mit stark wechselnder Dichte, aber bevorzugt in halboffenen Landschaften verbreitet.

Die Ergebnisse des Monitorings häufiger Brutvögel in Niedersachsen dokumentieren für 1989 bis 2010 bei zeitweise stärkeren Schwankungen ein insgesamt konstantes Niveau der Bestände (Krüger, T. et al. (2014), Atlas der Brutvögel in Niedersachsen und Bremen 2005 – 2008, 490 f.). Die Art gilt deshalb im Sinne der Kriterien als ungefährdet.

Die Daten des DDA-Monitoring Programms zeigen dagegen für 1995 bis 2009 im gesamten Bundesgebiet einen starken Rückgang nach zuvor deutlicher Zunahme der Stieglitz-Population. Der Rückgang korrelierte zeitlich mit der weiteren Abnahme von Brachen, Obstgärten und der vermehrten Flächenversiegelung in Stadt und Land. Unklar ist jedoch, wie stark dies auf die Bestandsentwicklung einwirkte.

Ein Blick auf die Daten des europaweiten EBCC (European Bird Census Council) bestätigt in erweiterter Perspektive für 1980 bis 2013 die Tendenz einer Erholung der Bestände seit den späten achtziger Jahren und deren Stabilisierung deutlich über dem Ausgangsniveau. Die (vielleicht etwas irritierenden) statistischen Befunde führen prima vista zu der Einsicht, dass neben Faktoren wie dem Klimawandel auch weiträumige oder regionale Populationsverschiebungen bei der Bewertung der Entwicklung in Betracht zu ziehen sind (Hinweise bei v. Blotzheim & Bauer (1997), Handbuch, Bd. 14/II, 618 f.). Zudem scheint der Stieglitz erfolgreiche Anpassungsleistungen durch Ausdehnung des Nahrungsspektrums (etwa bei Baumsamen) oder bei der Wahl der Bruthabitate zu erbringen.

Es lohnte also bei feldornithologischen Erfassungen in unserem Raum, trivialen Arten wie dem Stieglitz mehr Aufmerksamkeit zu widmen.

Europäische Bestandsentwicklung 1980 - 2013

Europäische Bestandsentwicklung 1980 – 2013