Aus der HAZ vom 16. Juli 2016
Eine Industriebrache wird zum Naturreservat:
Die Paul-Feindt-Stiftung des Ornithologischen Vereins kümmert sich um die ehemaligen Klärteiche der Zuckerfabrik in Baddeckenstedt.
Aus den ehemaligen Absetzbecken der Zuckerfabrik ist ein Naturparadies geworden: Die Baddeckenstedter Stapelteiche haben sich zu einem wertvollen Biotop entwickelt, in dem viele längst verschwundene Tier- und Pflanzenarten langsam wieder heimisch werden. (alle Fotos © OVH/A.Hill)
von Johannes LauferBADDECKENSTEDT. Nachdem die Baddeckenstedter Zuckerfabrik zum Ende der Kampagne 2000/2001 ihren Betrieb eingestellt hat, haben auch die Stapelteiche, die als Absetzbecken für die Abwasserreinigung benötigt wurden, ihre Funktion verloren. Für gewöhnlich werden solche Teiche dann zugeschüttet und von der Landwirtschaft als Ackerfläche genutzt. Nicht so in Baddeckenstedt: Hier wurden die Wasserflächen innerhalb weniger Jahre zu einem Naturparadies, denn die Verantwortlichen der Nordzucker AG und die Naturschützer der Paul-Feindt- Stiftung und des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim (OVH) einigten sich, hier einen anderen Weg zu beschreiten. Sie beschlossen, das fast 30 Hektar große Gebiet, das an der Innerste an der Kreisgrenze zwischen Hildesheim und Wolfenbüttel liegt, für den Vogelschutz zu erhalten.
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In diesem Jahr brütet wieder ein Rothalstaucher Paar auf seinem Nest inmitten der Uferzone
Im Sommer 2007 konnte die Paul-Feindt-Stiftung die Teiche mit Hilfe von Sponsoren erwerben. Seitdem hat sich das Gebiet zu einem bedeutenden Naturreservat entwickelt. Allerdings kann das Areal nicht einfach sich selbst überlassen werden. Ohne eine geeignete Pflege und ein spezifisches Wassermanagement würden die Teiche nämlich allmählich verlanden. Unterstützung bekommen die Naturschützer bei ihrer Arbeit vom Wasserverband Peine, der auf dem Gelände ein kleines Klärbecken zur biologischen Reinigung der Abwässer der Gemeinde Baddeckenstedt nutzt. Ganz nach Bedarf wird dieses gereinigte Wasser in die Teiche oder in die Innerste geleitet. Nach der Betriebsstilllegung hat sich die Natur das Gelände zurückerobert. Nach und nach veränderten sich das Landschaftsbild und die Artenvielfalt: Das vorher vegetationsarme Gebiet wurde wegen seiner nährstoffreichen Schlammflächen vor allem von eher seltenen Watvögeln als Rastplatz auf ihrem Frühjahrs- und Herbstzug angesteuert. Unter ihnen waren Regenpfeifer-, Schnepfen-, Wasserläufer- und Strandläuferarten.
Inzwischen sind die Uferzonen von einem dichten Gürtel aus Schilf und Weidensträuchern bewachsen. Sie bieten damit einen idealen Lebensraum für viele Wasservogelarten, darunter vor allem Enten und Taucher. Längst ziehen hier Stockente, Tafelente und Reiherente ihre Jungen auf. Auch die seltenere Schnatterente fühlt sich hier wohl.
Die Moorente war als Brutvogel bei uns schon verschwunden. Nun ist sie zurück.
Seit vergangenem Jahr schätzt auch ein Moorentenpaardie Vorzüge des Gebiets. Seit den 1980er Jahren ist diese kleine Ente in Niedersachsen als Brutvogel verschwunden. Am Steinhuder Meer, ihrem vormals wichtigsten Standort, wird seit Kurzem versucht, diese Art durch Auswilderung von Zuchtvögeln wieder einzubürgern. Die Ornithologen des OVH hoffen nun, dass die Moorente auch in Baddeckenstedt brütet. Eine der dort lebenden Moorenten stamme tatsächlich nachweislich aus dem Wiederansiedlungsprogramm vom Steinhuder Meer, sagt der Vorsitzende des Ornithologischen Vereins, Alistair Hill.
Der Rothalstaucher ist vor vier, fünf Jahren zum ersten Mal an den Teichen der ehemaligen Zuckerfabrik in Baddeckenstedt aufgetaucht. In diesem Jahr brütet wieder ein Paar auf seinem Nest inmitten der Uferzone. Neben dem Zwerg- und dem Haubentaucher brüten in Baddeckenstedt als bedrohte Arten der „Roten Liste“ auch Rothals- und Schwarzhalstaucher. Hinzu kommen diverse weitere, ans Wasser gebundene Singvögel wie die Rohrammer, mehrere Rohrsängerarten oder auch das farbenprächtige Blaukehlchen, das seit zwei Jahren als neue Brutvogelart registriert wird.
Der Drosselrohrsänger ist ein scheuer Geselle. Nur mit viel Glück gelang Alistair Hill dieser Kunstschuss eines singenden Vogels. Mitten im Röhricht legt sich der kleine Kerl mächtig in die Brust und schmettert sein Lied.
Das seltene Blaukehlchen kennen nur wenige Menschen in freier Natur. Dieses hier scheint gar keine Scheu zu haben.
Seit 2009 gehören die ehemaligen Stapelteiche zum Naturschutzgebiet „Mittleres Innerstetal mit Kanstein“. Eine solche Würdigung entspricht durchaus ihrem Stellenwert als Lebens- und Rückzugsraum für seltenere Wasservögel und Arten. Hier gibt es noch den Eisvogel oder auch den Mittelsäger, die im Innerstetal zwischen Marienburg und Goslar einen Populationsschwerpunkt besitzen. Für den Mittelsäger, einen Entenvogel der Küste und des Küstenvorlands, ist es sogar das einzige Binnenlandvorkommen. Eine wichtige Grundlage für den außergewöhnlichen Artenreichtum dieses Gebiets ist das üppige Nahrungsangebot. Dafür sorgen die vielfältigen Wasserpflanzen und besonders Fische, Amphibien und Insekten. Große Schwärme von Libellen und Mücken führen zurzeit allabendlich einen Tanz auf, umkreist von zahlreichen Schwalben und Mauerseglern und musikalisch begleitet vom Konzert unzähliger Frösche.
Die Teiche sind auch ein idealer Platz für Feuerlibellen. Zu Hunderten leben sie hier.
Die Paul-Feindt-Stiftung ermöglicht interessierten Besuchern, das Gebiet zu betreten, um das Naturverständnis und Umweltbewusstsein zu fördern. Allerdings gibt es eine kleine Einschränkung: Rote Hinweisschilder der Naturschutzbehörde weisen darauf hin, nur die markierten Dammwege zu benutzen und Hunde ganzjährig an der Leine zu führen. Seit Kurzem ist das Gebiet auch an den Innerste-Radweg angeschlossen. Schon aus der Radfahrer-Schutzhütte können – abhängig von der Tageszeit – Reiher, Enten und Taucher beobachtet werden. Mit etwas Glück sind die markanten Rufe des Drosselrohsängers oder die melodischen Strophen der Gartengrasmücke zu hören. Vielleicht schießt sogar ein Eisvogel übers Wasser und lässt sich auf einem Ast einer das Wasser überragenden Weide zum Fischfang nieder. Naturinteressierte sollten deshalb Fernglas und Kamera nicht vergessen.
Bearbeitet von Marita Zimmerhof © Hildesheimer Allgemeine Zeitung