Pressemitteilung vom Max-Planck-Institut für Ornithologie 3. August 2016
Fregattvögel schlafen im Flug in ähnlichen Mustern wie an Land, aber deutlich weniger
Erstmals ist es gelungen zu erforschen, dass und wie Vögel im Flug schlafen können. Ein internationales Forscherteam unter Leitung von Niels Rattenborg vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen hat durch Messungen der Gehirnaktivität bei Fregattvögeln herausgefunden, dass diese beim Fliegen mit beiden Gehirnhälften gleichzeitig oder nur mit einer Hälfte schlafen. Obwohl sämtliche Schlafmuster auch beim Schlaf an Land auftreten, schlummern die Tiere in der Luft allerdings gerade mal eine dreiviertel Stunde pro Tag. An Land schlafen sie dagegen über zwölf Stunden. Wie die Vögel ihre Leistungsfähigkeit scheinbar problemlos an diesen Schlafmangel anpassen, ist noch rästelhaft.
Im Halbschlaf oder wach im Flug?
Eine Möglichkeit wäre, mit nur einer Gehirnhälfte zu schlafen, so wie Niels Rattenborg das bei Enten entdeckt hat: Diese schlafen zwar generell mit beiden Gehirnhälften, Tiere am Rande einer Gruppe halten jedoch das nach außen gerichtete Auge offen. Die dazugehörige Gehirnhälfte ist wach, während die mit dem geschlossenen Auge verbundene Hälfte schläft. Auch Delphine können mit einer schlafenden Gehirnhälfte schwimmen. Daher gingen Forscher bislang davon aus, dass Vögel auch auf diese Art Autopilot im Flug angewiesen sind, um zu navigieren und die aerodynamische Kontrolle aufrecht zu erhalten.
Es ist aber auch möglich, dass die Vögel einen Weg gefunden haben, den Schlaf auszutricksen: Bei Graubruststrandläufern in Alaska haben Rattenborg und seine Kollegen beobachtet, dass die Vögel während der gesamten Brutzeit weitgehend aufs Schlafen verzichten. Sie gönnen sich nur ab und zu einen kurzen Tiefschlaf von wenigen Sekunden bis Minuten. Ausgedehnte Flüge müssen also nicht zwangsläufig ein Beweis für Schlaf im Flug sein, die Tiere könnten ihr Schlafbedürfnis im Flug auch reduziert oder sogar eingestellt haben. Ohne eine direkte Messung des Gehirnzustandes ist Schlaf im Flug also eine reine Spekulation.
Messgeräte ermittelten Hirnströme und Kopfbewegungen
Um das Rätsel zu lösen, tat sich Niels Rattenborg mit Alexei Vyssotsik von der Universität Zürich und der ETH Zürich zusammen. Dieser entwickelte einen kleinen Datenlogger, der Änderungen in der Gehirnaktivität anhand von Elektroenzephalogrammen und Bewegungen des Kopfes messen kann. So konnten die Wissenschaftler Wach- von den Schlafphasen unterscheiden, die an ruhenden Vögel gefunden wurden: Slow-wave-Schlaf (SWS) und Rapid-eye-movement-Schlaf (REM).
In Kooperation mit dem Galapagos-Nationalpark und Sebastian Cruz, einem Seevogelforscher aus Ecuador, fokussierten die Wissenschaftler auf Fregattvögel, die auf den Galapagos-Inseln brüten. Diese große Seevogelart fliegt für Wochen ununterbrochen über dem Ozean und jagt fliegende Fische und Tintenfische, die von Raubfischen oder Walen an die Oberfläche getrieben werden. Die Forscher befestigten die mobilen Messgeräte für einige Zeit auf dem Kopf weiblicher Tiere, bevor diese zu ihren bis zu zehn Tage langen Jagdflügen von bis zu 3000 Kilometern Länge aufbrachen. Die Datenlogger registrierten neben den Gehirnströmen in beiden Gehirnhälften auch Kopfbewegungen, ein GPS-Gerät auf dem Rücken der Tiere die Flughöhe und ihre Position.
Nachdem die Vögel wieder an Land waren und sich einige Zeit regeneriert hatten, wurden sie gefangen und die Logger abgenommen. Bryson Voirin, wissenschaftlicher Mitarbeiter und zweiter Erstautor der Studie sagt: „Wie viele Tiere auf den Galapagos-Inseln waren die Fregattvögel bemerkenswert zutraulich und haben sogar geschlafen, als ich sie das zweite Mal gefangen habe.“
Die Auswertung ergab, dass Fregattvögel auf unterschiedliche Weise im Flug schlafen. Tagsüber blieben die Vögel wach, um aktiv nach Nahrungsquellen zu suchen. Mit dem Einsetzen der Nacht bildeten die Gehirnströme Slow-wave-sleep-Muster von mehreren Minuten Länge, während die Vögel in einem Gleitflug waren. Überraschenderweise trat der Slow-wave-Schlaf nicht nur in einer Gehirnhälfte, sondern im kompletten Gehirn auf. Zur aerodynamischen Kontrolle ist es also wohl nicht nötig, eine Gehirnhälfte wach zu halten. Trotzdem schläft im Flug verglichen mit dem Land häufiger nur ein Teil des Gehirns.
Durch die Auswertung der Bewegungsdaten fanden die Wissenschaftler eine Erklärung für den unihemisphärischen Schlaf: Wenn die Vögel in kreisenden Bewegungen die aufsteigenden Luftströme nutzen, bleibt meist die Gehirnhälfte wach, die mit dem in Flugrichtung blickenden Auge verbunden ist. Die zu dem nach außen gerichteten Auge gehörende Hirnhälfte dagegen schlief, so dass die Vögel wohl geschaut haben, wohin sie fliegen. „Die Fregattvögel halten ein Auge offen, um einen Zusammenstoß mit anderen Vögeln zu verhindern, genau wie die Enten, die ein Auge auf potentielle Fressfeinde werfen“, sagt Rattenborg.
Neben dem Slow-wave-Schlaf im ganzen oder halben Gehirn haben die Wissenschaftler in seltenen Fällen kurze Unterbrechungen durch REM-Schlafphasen gemessen. Für Rattenborg war dies als Vogelschlafforscher nicht überraschend. Im Gegensatz zu Säugetieren, bei denen REM-Schlafphasen lange und mit einem kompletten Verlust des Muskeltonus verbunden sind, dauert die REM-Schlafphase bei Vögeln nur kurz. Hinzu kommt, dass ein Verlust des Muskeltonus bei Vögeln zwar zum Hinabsinken des Kopfes führen kann, diese aber durchaus noch fähig sind zu stehen – sogar auf nur einem Bein. So sinkt auch bei REM-schlafenden Fregattvögeln im Flug der Kopf, das Flugverhalten änderte sich in dieser Zeit jedoch nicht.
Rund um die Uhr volle Aufmerksamkeit über dem Meer
Fregattvögel besitzen im Flug also dieselben Schlafmuster wie an Land. Sie schlafen allerdings im Flug durchschnittlich nur 42 Minuten pro Tag. Knapp sechs Minuten dauerte der längste ununterbrochene Schlaf, den die Wissenschaftler gemessen haben. Zurück an Land schlafen die Tiere über zwölf Stunden pro Tag, wobei die Schlafepisoden auch länger und tiefer sind. Fregattvögel sind also höchst unausgeschlafen im Flug. „Warum die Vögel so wenig im Flug schlafen, sogar in der Nacht, wenn sie nicht auf Jagd sind, ist noch unklar“, sagt Rattenborg. Frühere Studien zeigten, dass Fregattvögel Ozeanströmungen auf der Suche nach guten Nahrungsquellen folgen, vielleicht ist das ein Grund dafür, wach sein zu müssen. Interessanterweise weist der Schlafmangel im Flug darauf hin, dass das ökologische Umfeld über dem Meer mehr Aufmerksamkeit erfordert als die, die ein halbes waches Gehirn aufbringen kann.
Wie kompensieren Fregattvögel die mit Schlafmangel verbundenen negativen Effekte für den Organismus? Wir Menschen schlafen bereits nach wenigen Stunden Schlafverlust am Steuer ein, auch wenn wir uns der Gefahr voll bewusst sind und darum kämpfen, wach zu bleiben. „Warum wir, und viele andere Tiere, so dramatisch unter Schlafmangel leiden, während einige Vögel scheinbar problemlos mit viel weniger Schlaf umgehen, bleibt vorerst noch ein Mysterium“, so Rattenborg. Hier weiter zu forschen, könnte neue Erkenntnisse über das Verständnis von Schlaf und den Konsequenzen seines Verlustes bringen.