Aus der HAZ vom 31. August 2016
Die Wätzumer Tonkuhle hat sich zu einem wertvollen Rückzugsgebiet für bedrohte Pflanzen- und Tierarten entwickelt.
WÄTZUM. Sanft wiegt das Schilfrohr im Wind, im Wasser spiegelt sich die Sonne. Auf dem Teich schwimmen Haubentaucher, Graugänse und Höckerschwäne. Ein idyllisches Fleckchen Natur. Um ein Haar hätte es diese Idylle nie gegeben. Ende der 1970er-Jahre sollte aus der ehemaligen Tonkuhle bei Wätzum eine Deponie für Industrieabfälle werden. Massive Proteste aus der Bevölkerung verhinderten das Vorhaben. Eine Bürgerinitiative (BI) machte gegen die Deponiepläne mobil. Mit Erfolg: Die gut zehn Hektar große Fläche wurde 1986 zum Naturschutzgebiet erklärt. Doch die Unsicherheit blieb. Die 400 BI-Mitglieder befürchteten, dass dort wieder Ton abgebaut werden könnte. 1991 war die Tonkuhle sogar noch einmal als Klärschlammdeponie im Gespräch.
Dann kam das endgültige Aus für derlei Pläne. Anfang 1992 kauften der Ornithologische Verein zu Hildesheim (OVH), die Paul-Feindt-Stiftung, die Gemeinde lgermissen und der Landkreis Hildesheim mit Unterstützung von Sponsoren das Gelände. In den 1990er-Jahren kamen 6,5 Hektar als Ausgleichsfläche für den Ausbau der Autobahn hinzu. Dank der Bemühungen der Naturschützer hat sich die Natur das 17 Hektar große Areal längst zurück erobert. „Es ist heute ein wertvolles Rückzugsgebiet für bedrohte Pflanzen- und Tierarten“, sagt Ernst-August Springmann, der Vorsitzende des Algermissener Naturschutzvereins. So brütet dort seit 2003 wieder regelmäßig die Wiesenweihe. Der vom Aussterben bedrohte Greifvogel war über Jahrzehnte aus dem Landkreis verschwunden. Auch die Rohrweihe ist bei Wätzum wieder heimisch. Ornithologen des OVH haben bislang 60 Vogelarten in dem Biotop festgestellt – von der Amsel bis zum Zwergtaucher.
Doch auch aus botanischer Sicht ist das Naturschutzgebiet mit seinen zwei Teichen, kleinen Hügeln, vielen Feuchtmulden und Schilfzonen eine Rarität. Eine Bestandsaufnahme des OVH aus dem Jahr 2011 ergab, dass sich dort auch sehr seltene Pflanzen angesiedelt haben. Wie das auf der Roten Liste stehende Große Flohkraut (Rote Liste), gefährdete Arten wie die Knollen-Platterbse oder die Salz-Teichsimse. Und manche Pflanzen ziehen auch spezielle Gäste an. An der Ostseite der Tonkuhle blühte in diesem Sommer die Gemeine Nachtviole besonders üppig. OVH-Mitglieder zählten an einem Junitag mindestens 100 Diestelfalter, die von Blüte zu Blüte flatterten.
Hans-Joachim Wünsche © Hildesheimer Allgemeine Zeitung