Aus der HAZ vom 20. Okt. 2016 von Marita Zimmerhof
Ornithologischer Verein spricht von einer „Spitze des Eisbergs“ und fordert Verzicht von Windparks in vogelreichen Gebieten
Die Bestände des Rotmilans schwinden. Windräder fordern zusätzlich Opfer. Foto © OVH/AHill
Holle/Hotteln/Bledeln. Naturschützer warnen seit langem: Windkraftanlagen bringen Tausenden von Vögeln den Tod. Hersteller und Betreiber versuchen zwar, das Thema mit Gegengutachten herunter zu spielen. Allenfalls handele es sich um Einzelfälle. Alistair Hill, der Vorsitzende des Ornithologischen Vereins zu Hildesheim (OVH), hat nun aber innerhalb kurzer Zeit gleich zwei tote Greifvögel gefunden, die von Rotorblättern erschlagen worden sind. Und er ist sich sicher: „Diese Totfunde stellen nur die Spitze des Eisberges dar.“ Es war ein grausiger Anblick unter dem Windrad im Holler Windpark, nicht weit vom Autobahndreieck Salzgitter entfernt. Auf dem Weizenstoppelfeld, nur wenige Schritte von der Turbine entfernt, lag ein totes Rotmilan-Weibchen. Ein Rotorblatt hatte ihm einen Flügel abgeschlagen, der Vogel verendete elendig.Etwa zur selben Zeit erwischte es zwischen Hotteln und Bledeln auch einen Gerfalken: Auch er konnte trotz seiner brillant scharfen Augen den sich schnell drehenden Flügeln nicht mehr ausweichen. Gerfalken, die weltweit größte Falkenart, leben eigentlich in den arktischen Tundren Eurasiens und Nordamerikas. Hill vermutet deshalb, dass das Tier einem Falkner entflogen ist. Schon im Mittelalter wurde der Gerfalke zur Jagd eingesetzt, weil er im Horizontalflug sogar noch schneller ist als ein Wanderfalke. Gegen die Rotorblätter aber hatte auch dieser Vogel keine Chance.
Befürworter der Windkraftanlagen argumentieren, dass die Vögel den Rotorblättern in den meisten Fällen ausweichen, verweisen darauf, dass unter den Anlagen nur selten verendete Vögel entdeckt wurden. „Es ist außerordentlich schwer, erschlagene Tiere zu finden“, hält Hill dagegen. Denn bevor abgeerntet wurde, könne man die Felder nicht betreten. Je dichter und höher die Feldfrüchte stehen, desto schlechter lasse sich der Acker überblicken. Selbst auf Brachen bleiben Kadaver nur kurz erkennbar: Fuchs, Dachs, Wildschwein und Marder vertilgen die Schlagopfer an Ort und Stelle oder verschleppen sie. Auch andere Vögel wie Rabenkrähe, Kolkrabe, Mäusebussard und Rotmilan fressen daran. „Entlang der Autobahnen oder Eisenbahnen kann man immer wieder Greifvögel beobachten, die hier nach Verkehrsopfern Ausschau halten. Und kleine verendete Tiere wie Singvögel werden selbst von Ameisen innerhalb wenige Tagen vertilgt.“
Hill ist überzeugt, dass „ein Mehrfaches an Opfern zu beklagen“ sei als überhaupt bekannt werde. Die Windräder, die jetzt als Vogelschredder aufgefallen sind, stunden nicht einmal in Gebieten, in denen es besonders viele Vögel gebe. Allerdings schmerzen die Ornithologen Verluste bei Rotmilanen besonders, weil deren Bestände bedroht sind und immer weiter schrumpfen. Die Greifvögel mit dem auffällig rötlichen Gefieder gibt es nur in Europa, 60 Prozent des weltweiten Bestands lebt in Deutschland und davon wiederum viele in der offenen Landschaft der Börde. Experten schätzen den Gesamtbestand nur noch auf 20 000 bis 29 000 Brutpaare.
Seit 2002 fuhrt die staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg eine Statistik, wie viele Schlagopfer unter Windrädern gefunden wurden. Bis 2016 wurden 324 tote Milane gemeldet, nur Mäusebussarde waren mit 421 verendeten Tieren noch häufiger betroffen. Von den Windkraftanlagen getötet werden aber nicht nur Vögel: Auch Fledermäuse, die in ihrem Umfeld jagen, verenden – selbst wenn sie keinen direkten Kontakt mit den Rotorblättern hatten. Vor allem an den Enden der Rotorblätter ist der Druckunterschied so groß, dass die Tiere ein Barotrauma erleiden und daran sterben. Die Geschwindigkeit an den Blattspitzen ist um so höher, je länger die Flügel sind. Bei größeren Anlagen können bis zu 300 Kilometer pro Stunde erreicht werden – das zerfetzt jeden Vogel, der den Anlagen zu nahekommt.
Hill appelliert deshalb, in Gebieten mit reichem Vogelbestand wie im Leinetal auf Windkraftanlagen zu verzichten. In geplanten Windpark Escherde / Rössing gebe es in unmittelbarer Nähe nicht nur Brutstandorte von Rotmilan, Schwarzmilan und Rohrweihe, auch zahlreiche Durchzügler und Wintergäste seien hier regelmäßig zu sehen.
© Hildesheimer Allgemeine Zeitung