Aus der HAZ vom 12.08.2016 „Harter Brocken für Naturschützer“
Die Stadt will beim Baugebiet Großer Kamp ein Gesetz nutzen, durch das sie auf einen Umwelt-Ausgleich verzichten darf. Die Politik zeigt sich offen, BUND und OVH kritisieren die Idee. Von Rainer Breda
Hildesheim. Der Punkt schien harmlos, schließlich hatte sich der Stadtentwicklungsausschuss schon oft mit der geplanten Siedlung „Großer Kamp“ befasst. Und doch steckt in dem Vorhaben auf einmal Zündstoff, wie sich jetzt zeigte. Denn die Verwaltung will bei dem Vorhaben einen neuen Paragraphen im Baugesetzbuch anwenden, den der Bundestag jüngst mit den Stimmen der Großen Koalition beschlossen hat – mit dem Ziel, Baugebiete zu beschleunigen. So können Städte und Gemeinden unter speziellen Voraussetzungen auf die sonst obligate Untersuchung verzichten, welche ökologischen Folgen das Ganze hat. Und nicht nur das: Auch Ausgleichsmaßnahmen für den Eingriff in die Umwelt, normalerweise zwingend geboten, sind nicht nötig.„Das ist für Naturschutzorientierte ein ganz harter Brocken“, monierte Maren Burgdorf, die für den Ornithologischen Verein im Ausschuss sitzt. Der sollte das Thema vertagen, forderte der BUND-Kreisvorsitzende Matthias Köhler: Die Verwaltung sollte den Politikern zunächst erläutern, welche Ausgleichsmaßnahmen die Stadt ansonsten für die geplanten 35 Ein- und Zwei-Familienhäuser leisten müsste und was das kosten würde. Auch vertrage sich der Plan nicht mit der Absicht, Städtebaufördermittel für eine Aufwertung der Walanlagen und des Hohnsensees einzuwerben:„Das passt nicht.“
Köhler bezweifelte zudem, ob die Stadt wirklich die Bedingungen des Gesetzes erfülle. Das verlangt unter anderem eine Bauflächen-Obergröße von 10 000 Quadratmetern und eine bestimmte Lage. Beim Großen Kamp träfen die Voraussetzungen zu, versicherte die Verwaltung. „Wir müssen wirtschaftlich handeln“, betonte Planungsamtschefin Sandra Brouêr. Davon profitierten die Häuslebauer, erklärte Baudezernennt Heinz Habenicht: Gibt es keinen Ausgleich, muss die Stadt – die den Großen Kamp selbst vermarktet – dessen Kosten auch nicht auf die Preise umlegen.
CDU und SPD unterstützten angesichts der Lage auf dem Wohnungsmarkt den Rathaus-Kurs, Ausschuss-Chef Detlef Hansen bat die Verwaltung gleichwohl um die von Köhler angemahnten Zahlen. Dann müsse die Politik sehen, ob sie sich den Ausgleich leisten wolle. Die Auslegung des Bebauungsplans samt Bauvorschrift segnete der Ausschuss dennoch einstimmig ab.
KOMMENTAR: Besser offensiv
Von Rainer Breda
Derr neue Paragraph soll den Kommunen helfen, Tempo beim Wohnungsbau zu machen. Dass dafür die Natur auf der Strecke bleibt, haben CDU und SPD in Berlin in Kauf genommen. Wenn die Stadt dieses Instrument nun anwendet, ist das ihr gutes Recht. Man muss dies allerdings nicht gut finden – für die Natur ist es das nämlich keineswegs. „Das ist eben eine ideologische Frage“, wie es Dezernent Habe- nicht treffend formuliert.
Und doch sieht die Verwaltung nicht gut aus. Denn sie hätte ihre Absicht, den Paragraphen ziehen zu wollen, nicht nur im Kleingedruckten in der Sitzungsvorlage unterbringen dürfen, sondern den Politikern offensiv erklären müssen: Hört her, das haben wir vor! So aber könnte man der Verwaltung mit etwas bösem Willen unterstellen, sie habe dem Rat ihre Idee vielleicht untermogeln wollen. Im Ausschuss jedenfalls schien nur BUND-Mann Köhler so richtig im Bilde zu sein – die Politik wirkte eher überrascht.
© Hildesheimer Allgemeine Zeitung