Angesichts der Schwärme im Leinetal sprechen Ornithologen von einer „Serengeti bei Hildesheim“ – tatsächlich machen sich die Tiere teilweise nützlich
Die Saatgans kann dem Landwirt schon vom Namen her nicht gefallen – doch in diesem Jahr ist alles ein bisschen anders als sonst.
Von Tarek Abu Ajamieh Leinetal/Kreis Hildesheim. Alistair Hill ist ein eher ruhiger Typ. Doch wenn der Hildesheimer Hobby-Ornithologe in diesen Wochen im Leinetal unterwegs ist, kann er sich vor Begeisterung kaum halten: Tausende Gänse lassen sich bei der Nahrungssuche beobachten, darunter auch sehr seltene Arten, die er hier in der Gegend bislang kaum zu Gesicht bekommen hat. Und auch die Landwirte, ob der Gänse-Invasion in den vergangenen Jahren oft nicht gerade glücklich, sehen die gefiederten Gäste derzeit positiver. Denn die helfen ihnen bei der Vorbereitung der Aussaat in diesem Jahr.
Zumindest fürs Erste spricht der Landvolk-Vorsitzende Wolfgang Rühmkorf deshalb „mit aller gebotenen Vorsicht sogar von einer Win- Win-Situation“ zwischen Gänsen und Bauern. Denn das in diesem Jahr noch mehr der großen Vögel als sonst auf ihremWeg ins Winterquartier vor allem in der Gemeinde Nordstemmen rasten, hat viel damit zu tun, dass dort viele nicht abgeerntete Maisfelder liegen. Wie berichtet hatten die ständigen Regenfälle im Herbst den Boden teilweise so matschig werden lassen, dass die Bauern mit ihren Maschinen nicht mehr auf die Äcker fahren konnten.
Das Problem der Landwirte wird zum Festtags-Büfett für Grau-, Rothals-, Kurschnabel- und Tundra- Saatgans und weitere Verwandte. Die sind zum Teil aus Spitzbergen oder den Inseln des sibirischen Eismeers angereist, wie Hill anhand von Markierungen der Vögel herausfinden konnte, und tun sich nun an den herumliegenden Maiskolben gütlich – und helfen den Bauern dadurch, die Felder sozusagen für die nächste Aussaat aufzuräumen. In den vergangenen Jahren hatten die Landwirte auf solchen Feldern bereits Wintergetreide ausgesät – und sich gewaltig darüber geärgert, wenn sich rastende Gänse an eben dieser Saat gütlich getan und damit großen wirtschaftlichen Schaden angerichtet hatten. Weshalb Landvolk-Chef Rühmkorf bei allem gegenwärtigen Wohlwollen auch hofft, dass die Gänse Besucher bleiben und nicht etwa sesshaft werden wollen: „Nach Beginn der Frühjahresvegetation sollen unsere Felder wieder möglichst unbeschadet und ausschließlich der Erzeugung menschlicher Nahrung und der Sicherung der Einkommensgrundlage der Landwirte dienen.“
Ornithologe Hill warnt Jäger unterdessen davor, auf die Gänse zu schießen. Es seien immer wieder bedrohte und geschützte Arten darunter. „Bei den gemischten Schwärmen ist die Bestimmung der einzelnen Arten selbst für Experten zum Teil sehr schwierig, oder unter Umständen ganz unmöglich“, betont der Fachmann vom Ornithologischen Verein Hildesheim. Zugleich versichert er, gegen den kontrollierten Abschuss von Grau- und Nilgänsen zwischen Juni und September zur Verringerung von Schäden auf den Feldern hätten die Vogelfreunde nichts einzuwenden.
Jetzt im Winter lehnt er dies allerdings ab – und erfreut sich mit Blick auf die gefiederte Vielfalt im Leinetal an einer „Serengeti bei Hildesheim“. Was auch Landwirt Rühmkorf schmunzeln lässt: „Wir freuen uns mit den Vogelfreunden über ihre eindrucksvollen Erlebnisse in diesem Schmuddeljahr.“
© Hildesheimer Algemeine Zeitung 02.01.2018