Seltener Vogel liebt Gewerbegebiete – Programm soll ihm helfen
Von Wiebke Barth
Hildesheim. Wenn Fritz Aly morgens früh aus seinem Bürofenster schaut, kann es sein, dass ein Hase dort noch in seiner Sasse liegt und die Rebhühner zwischen Hauswand und Hecke Schutz vor dem Blick der Greifvögel suchen. Erst kürzlich hat er auf einer Blüte einen Schwalbenschwanz fotografiert, hat auch Bachstelzen und Stieglitze beobachtet. Dabei sieht Aly von seinem Fenster keineswegs in einen ländlichen Naturgarten, sondern auf das Grundstück seines Steinmetz-Unternehmens Steinwolf im Gewerbegebiet Glockensteinfeld. Hier wird gearbeitet, gibt es Werkstatt und Büros, fahren Kunden im Auto vor, warten Steinplatten auf die Verarbeitung. Aber trotzdem ist auch Platz für Natur. Und sogar für die Haubenlerche.
Die ist in Niedersachsen vom Aussterben bedroht. In Hildesheim gibt es vermutlich nur noch zwei Paare, sagt Nina Lipecki. Fritz Aly hat den seltenen Vogel schon auf seinem Grundstück entdeckt, und auch nahe der Senkingstraße wurde die Haubenlerche gesichtet. Sie siedelt sich offenbar bevorzugt in Gewerbegebieten an. Um die Vögel zu schützen, hat sich die Untere Naturschutzbehörde der Stadt speziell an Gewerbetreibende gewandt, um das Bewusstsein für die Belange des kleinen Vogels mit der markanten Stirnhaube zu wecken. Nina Lipecki hat an dem Projekt mitgewirkt, ein Faltblatt gestaltet, Unternehmer angeschrieben, Gespräche geführt.
Die Haubenlerche ist ein Steppenvogel. Sie sucht offene, niedrig und locker bewachsene Flächen. Als Bodenbrüter sei dem Vogel die menschliche Gesellschaft gar nicht unangenehm, denn die vertreibe natürliche Feinde, sagt Nina Lipecki. Und es gehöre gar nicht so viel dazu, dem Vogel auf einem Gewerbegrundstück ein wenig Freiraum für Futtersuche und Brut zu überlassen. Wichtig dabei: Nicht alles so tadellos aufräumen und begradigen. „Hier war ja früher Feld“, ergänzt sie, „nur weil das bebaut wird, sind die Tiere nicht gleich alle weg“. Auf dem Gelände der Firma Steinwolf darf ein Erdhaufen auch mal liegen bleiben und sich die Goldrute nach Herzenslust darauf ausbreiten. Der Grünstreifen um das Gebäude muss nicht sorgfältig gemäht sein. Wenn die Mitarbeiter ein Vogelnest unter einer Palette entdecken, dann bleibt die Palette, wo sie ist, auch wenn sie ein bisschen im Weg liegt. Fritz Aly versorgt die Vögel außerdem ganzjährig mit Futter und füllt regelmäßig die Tränken. Er brauchte dafür nicht unbedingt ein städtisches Projekt, die Natur liege ihm sowieso am Herzen, sagt er. Aber er weiß auch: „Man muss dafür ein Bewusstsein schaffen und einen Sinn entwickeln.“ Wer sein Grundstück ebenfalls einladender für die Haubenlerche gestalten will, kann von der Stadt nicht nur Tipps, sondern auch eine Blühmischung für Grünflächen bekommen. Am besten wäre es, junge Unternehmen ließen sich beraten, bevor sie anfangen zu bauen, meint Nina Lipecki. Denn selbst in den Fugen zwischen den Pflastersteinen kann die Haubenlerche nach Futter picken, wenn diese Fugen nicht zu eng sind. Interesse hätten schon mehrere Unternehmen bekundet, sagt Nina Lipecki. Aber mit der Umsetzung hapere es meist noch.
©Hildesheimer Allgemeine Zeitung 09.08.2018