Mehr Mut zum Kraut: Stadt will Grünpflege ökologischer gestalten

Was kostet es, alle Grünflächen perfekt zu pflegen, wollte die Politik von der Verwaltung wissen. Die antwortet mit einem Gesamtkonzept. Kernaussage: „Perfekt“ ist gar nicht das Ziel.

„Das ist ja völlig verkrautet“ – solche Kommentare hört Stadt-Mitarbeiterin Stephanie Biel oft. Tatsächlich wächst hier an der Kurt-Schumacher-Straße in Ochtersum Wiesenklee, der nach Ende der Blütezeit im Spätsommer bewusst nicht ausgeschlegelt wurde, um auch im Winter einen Lebensraum zu bieten (großes Bild). Das Überlaufbecken gleich daneben erfüllt eine andere Funktion und ist ordentlich ausgemäht (rechts).Fotos: Sara Reinke

„DAS IST JA VÖLLIG VERKRAUTET“ – SOLCHE KOMMENTARE HÖRT STADT-MITARBEITERIN STEPHANIE BIEL OFT. TATSÄCHLICH WÄCHST HIER AN DER KURT-SCHUMACHER-STRASSE IN OCHTERSUM WIESENKLEE, DER NACH ENDE DER BLÜTEZEIT IM SPÄTSOMMER BEWUSST NICHT AUSGESCHLEGELT WURDE, UM AUCH IM WINTER EINEN LEBENSRAUM ZU BIETEN (GROSSES BILD). DAS ÜBERLAUFBECKEN GLEICH DANEBEN ERFÜLLT EINE ANDERE FUNKTION UND IST ORDENTLICH AUSGEMÄHT (RECHTS).FOTOS: SARA REINKE

Mit der Erarbeitung eines Grünflächen-Pflegekonzepts will die Stadt das scheinbar Unmögliche möglich machen: Die Freiflächen im öffentlichen Raum optimal unterhalten, die Finanzen im Griff behalten, die Öffentlichkeit einbeziehen und dabei ökologischer und naturnäher wirtschaften als bislang. Am Mittwoch hat Stephanie Biel, kommissarische Leiterin des Fachbereichs Grünflächenpflege, im Stadtentwicklungsausschuss (und zuvor in einem Pressegespräch) erste Eckpunkte dafür vorgestellt. Ein fertiges Konzept sei das natürlich noch nicht, betonte die 36-jährige studierte Landschaftsplanerin. „Das wird über die nächsten Monate erst noch wachsen.“

Grünflächenpflege als ewiger Zankapfel

Die städtische Grünflächenpflege ist ein ewiger Zankapfel sowohl in den politischen Gremien als auch in der Öffentlichkeit. Immer wieder gab es in der Vergangenheit Beschwerden, die Stadt lasse einzelne Bereiche verwildern, während sie an anderen regelrechten Kahlschlag betreibe. Diesem Umstand sei denn auch die öffentliche Präsentation geschuldet, erläutert Stadtbaurätin Andrea Döring. „Normalerweise ist so ein Pflegekonzept ja eher intern relevant.“ Nicht zuletzt reagiert die Verwaltung mit ihrem aktuellen Vorstoß auch auf den im vergangenen Jahr formulierten Ratsbeschluss, einmal darzulegen, was eine „hundertprozentige“ Grünpflege finanziell und personell erfordern würde. Eine Forderung, die im Kern ja schon unterstellt, dass die städtische Aufgabe bisher nur in Teilen erfüllt würde.

„Doch was heißt schon 100 Prozent?“, fragt Döring. Überall Golfrasen könne ja nicht erstrebenswert sein. Wieviel Pflege eine Fläche benötige, sei immer von Bodenverhältnissen und anderen örtlichen Begebenheiten sowie der Nutzung einer Fläche abhängig. Während ein Zierrasen – beispielsweise an der Steingrube – 20 bis 40 Mal im Jahr gemäht werden müsse und eine Liegewiese sogar noch öfter, seien bei einem Landschaftsrasen – wie in Bavenstedt – drei oder vier Schnitte im Jahr ausreichend. Und vor allem: ökologisch sinnvoller.

Die minimalen und maximalen Unterhaltungskosten müssten daher „flächenscharf“ definiert sein, statt pauschal Pflegemaßnahmen für alle Standorte vorzugeben, erläutert Kai-Uwe Hauck, Leiter des Fachbereichs Tiefbau, Verkehr und Grün, wie die offizielle Benennung lautet.

Bisher: Nicht planlos, aber ohne Konzept

Die Zusammenlegung ursprünglich getrennter Fachbereiche, führt Hauck aus, habe vor Jahren zu erheblichen Stellenstreichungen geführt und damit einige der aktuellen Probleme erst hervorgerufen. Denn auch wenn die Stadt bisher nicht auf ein ausformuliertes Konzept verweisen konnte, so habe es natürlich auch in der Vergangenheit immer Arbeitspläne und Leitlinien gegeben, an denen man sich orientiert habe. „Aber die sind durch die verschärfte Personallage immer mehr ad absurdum geführt worden.“

Seit etwa einem halben Jahr bereitet Stephanie Biel die nun angestrebte grundlegende Neuorganisation vor.

Als Ziele hat sie definiert:

Der Prozess um die Bewerbung des vom Bundesbauministerium initiierten Förderprogramms „Zukunft StadtGrün“ habe dem Fachbereich viele neue Erkenntnisse gebracht, berichtet Biel. Hildesheims vorhandene Potenziale wie Habitatbäume oder Stinzenpflanzen (siehe Beitext), aber auch bereits laufende Naturschutzprojekte, wie der Schutz der Haubenlerche, sollen in dem künftigem Konzept ebenso berücksichtigt werden wie neue Ideen zur ökologischen Entwicklung von Friedhöfen oder dem Aufstellen von Bienenstöcken.

Ein wichtiger Punkt dabei: die Öffentlichkeitsarbeit. „Dabei werden wir auch die Ortsräte mit einbeziehen“, betont Stadtbaurätin Döring, „denn die Politiker vor Ort sind es, die am Ende den Bürgern gegenüber erklären müssen, warum wir beispielsweise eine bestimmte Fläche nicht ausgemäht haben.“

So soll es weitergehen:

Und was wird nun bei den Bedarfszahlen herauskommen? „Natürlich hätten wir die Aufforderung zur Ermittlung der Kosten auch nutzen können, um klarzustellen, dass der gewünschte Pflegeaufwand nur mit erheblich mehr Personal zu leisten ist“, erklärt Döring. „Aber damit ist am Ende niemandem gedient.“ Sie gehe nicht davon aus, dass es in naher Zukunft erhebliche Personalzuwächse für den Fachbereich Grünflächenpflege geben könne. Eine weitere Reduzierung schließt sie aber auch aus: „Das ist schon Unterkante Oberlippe.“ Umso besser also, wenn es gelänge, mit weniger Aufwand, aber einer systematischeren Vorgehensweise sowohl den wirtschaftlichen als auch ökologischen Belangen zu dienen.

Umsetzung erfolgt schleichend

Die Umsetzung hat dabei – schleichend – durchaus schon begonnen, berichtet Biel. Die Auszeichnung von Habitatbäumen, das Anlegen von Blühflächen, aber auch der teilweise Verzicht auf das Ausmähen von Wiesenflächen vor dem Winter sind erste Schritte auf dem nun angestrebten Weg. Doch für manche Ideen müssten die Voraussetzungen auch erst geschaffen werden, zum Beispiel neue Maschinen angeschafft werden. „Das wird sich sicherlich über einen längeren Zeitraum hinziehen“, sagt Döring.

Die Bauhof-Mitarbeiter, die das noch auszuarbeitende Konzept am Ende in die Praxis umsetzen müssen, dürften jedenfalls die ersten sein, die diese Entwicklung gutheißen, ist deren Chef Kai-Uwe Hauck überzeugt: „Bisher klaffen Anspruch und Wirklichkeit in der Grünflächenpflege oft weit auseinander. Die Mitarbeiter draußen sind es, die dafür angepöbelt werden.“ Eine klare Linie kann da der Argumentation nur dienlich sein.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung