Die HAZ stellt in einer Serie sehenswerte Naturreservate vor. Heute: Der Gallberg.
In Stadt und Kreis Hildesheim gibt es viele landschaftliche Besonderheiten, um die uns Naturliebhaber aus anderen Regionen beneiden.
Der Landwirt Heinrich Köhler mit seiner Limousine Kühe
Kämen Zeitreisende heute nach Hildesheim, wären sie erstaunt, dass die Stadt im Südwesten und Südosten von dichtem Hochwald umgeben ist, denn über Generationen waren die Höhenzüge baumlos und kahl. Sie dienten der Bevölkerung, wo es der magere Boden hergab, als Acker, aber mehr noch als Weideland. Damit einher ging eine besondere Flora und Fauna, die heute um so mehr in Gefahr gerät, je mehr ihnen die Baumriesen das Sonnenlicht rauben.
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NSG “Gallberg” Wanderweg
EINE KNABENKRAUT-ORCHIDEE? NEIN! DAS IST HEILZIEST, EIN LIPPENBLÜTLER, DER OFFENBAR AUCH DER HUMMEL AUF NEKTARSUCHE GEFÄLLT.
Günter Gärtner war schon als Kind in Ziegen vernarrt. Als Neunjähriger hütete er seine ersten beiden Tiere, bis er zur Bundeswehr einrücken und sich von seinen Gefährten trennen musste. Als junger Familienvater holte ihn die Vergangenheit wieder ein. Sein Sohn wollte ein Haustier. Und was wurde das? Na klar, eine Ziege.
Die zumeist städtische Fläche ist heute vom OVH gepachtet. Anfangs versuchten die Naturschützer dem Gestrüpp mit Astscheren zu Leibe zu rücken, dann kamen Motorsägen. Tatkräftige Unterstützung gibt es seit Jahrzehnten von Schülern des Gymnasiums Himmelsthür. Doch es blieb stets ein Kampf gegen Windmühlen. Schließlich kaufte der damalige OVH-Chef Heinz Ritter (1945-2009) vier schottische Hochlandrinder und gewann den Sorsumer Landwirt Heinrich Köhler als unverzichtbaren Partner.
Heute, 30 Jahre später, schafft Köhler mit seinem „Bobcat mit Forstmulcher“ an einem Tag mehr, als Scharen Freiwilliger dereinst mit ihren Rosenscheren. Die zotteligen Highlands hat Köhler inzwischen gegen Limousin getauscht, eine französische Rinderrasse, deren Fleisch von Feinschmeckern weltweit geschätzt wird. Die rotbraunen Tiere gelten als ruhig und ausgeglichen – und als gute Futterverwerter.
Gemächlich mampfen sich die hornlosen Kühe über die Wiesen des Gallbergs. Mag dabei auch das ein oder andere Blümchen im Maul verschwinden: Im Ergebnis sorgen die Rinder dafür, dass der Artenreichtum dieses Lebensraums erhalten bleibt. Nur im Winter holt Köhler seine Tiere in den Stall. Sobald er zufüttern muss, sind die Kuhfladen nämlich so nährstoffreich, dass sie das sensible Gleichgewicht des Halbtrockenrasens stören würden.
Das lebende Naturkundemuseum Gallberg wäre aber nicht vollständig, gäbe es nicht Michael Eikemeier von den Niedersächsischen Landesforsten. Früher war es selbstverständlich, dass Haustiere in Wäldern – Mastwäldern –weideten. Eine solche Nutzung sieht das Waldgesetz heute gar nicht mehr vor. Mit dem Effekt, dass der dabei entstehende lichte „Mittelwald“ mit üppiger Krautschicht fast nirgendwo mehr existiert.
In dieser jahrhundertealten Waldform versorgten sich die Menschen mit Brennholz, indem sie die Bäume radikal beschnitten. Eikemeier spricht gar von einer „relativ brutalen Waldnutzung“. Die Bäume versuchten sich mit Stockausschlägen zu regenerieren. Daneben blieben nur wenige dicke Bäume ungeschoren. „Die Leute brauchten ja auch Bauholz.“
Bei den Aufforstungen um 1900 wurde auch der Gallberg, der in der Verlängerung zum Finkenberg wird, bepflanzt. So kam die mediterrane Schwarzkiefer in die Gegend. Eikemeier will nun der Eiche wieder eine Chance geben. Behutsam hat er die schnell wachsende Buche aus dem Bestand genommen, gegen die sich die Eiche nicht durchsetzen könnte. Und Gärtners Ziegen sorgen dafür, dass keine Samen aufkeimen.
Ein Stück weiter hat die Forst sogar Jungeichen gepflanzt, die der Trockenheit bislang erstaunlich gut trotzen. Doch noch müssen sie gehätschelt werden, das Kraut ringsum gemäht, der Bestand zum Schutz vor Wildverbiss umzäunt werden. „Bis die Bäumchen 1,50 Meter hoch sind, kostet jeder Hektar 20 000 Euro“, sagt Eikemeier. „Eine teure Sache für uns.“
Doch wenn es um das Juwel Gallberg geht, rechnet keiner mit spitzer Feder: Nicht der Forstmann, nicht der Ziegenhalter, nicht der Rinderbauer. Und schon gar nicht die vielen Ehrenamtlichen im OVH. Um so ärgerlicher ist es für alle, dass sie immer wieder mit Vandalismus und Ignoranz kämpfen müssen: Gärtner kann schon nicht mehr zählen, wie oft sein Weidezaun umgetreten und Material gestohlen wurde.
„Das ist ja hier z.T. Privatgelände“, sagt der OVH-Vorsitzende Alistair Hill, der nichts gegen Naturinteressierte hat, die auf den Wegen bleiben. Trotz der Hinweistafeln laufen jedoch immer wieder Spaziergänger querfeldein, picknicken auf dem trittempfindlichen Trockenrasen, grillen, legen mit Mountainbikes neue Pfade an, lassen ihre Hunde mit Schleppleinen laufen. Und gefährden, jeder für sich, das Projekt Gallberg. Den letzten mittelalterlichen Naturschatz der Stadt.
© Hildesheimer Allgemeine Zeitung