Ganzjährige Vogelfütterung ist umstritten / Ratten und Waschbären sind ungebetene Gäste

Aus der HAZ vom 24.08.2020

An einem Vogelhäuschen im Kreis Hildesheim bedienen sich regelmäßig auch Waschbär und Dachs.Foto: Privat

AN EINEM VOGELHÄUSCHEN IM KREIS HILDESHEIM BEDIENEN SICH REGELMÄSSIG AUCH WASCHBÄR UND DACHS.FOTO: PRIVAT

Wenn es im Winter bitter kalt ist, Schnee im Garten Pflanzen und Boden bedeckt, freut sich die heimische Vogelwelt über gut gefütterte Futterhäuschen. Doch tatsächlich meinen es inzwischen eine Menge Gartenbesitzer das ganze Jahr über gut und verteilen fleißig Sonnenblumenkerne und andere Leckereien an die Vögel. Dass es da etwas zu holen gibt, spricht sich in der Tierwelt offenbar mitunter rum. Kürzlich berichtete die HAZ über zwei Frauen im Kreis, an deren einstiger Vogelfutterstelle sich regelmäßig Dachse und Waschbären bedienen. Mit einer Wildtierkamera haben sie die nächtlichen Szenen aufgenommen und sind so ihren tierischen Besuchern auf die Schliche gekommen. Die Frauen freuen sich über die Gäste. Andere sehen das kritisch: Das ganzjährige Füttern schade den Vögeln und locke Tiere in die Städte, die dort schnell zur Plage würden.

„Das Füttern von Vögeln sollte auf den Winter und Notzeiten beschränkt werden, wenn das Nahrungsangebot in der Natur knapp wird. Ansonsten finden Vögel in den Gärten, die diese Bezeichnung auch verdienen, genügend Futter“, argumentiert Heinrich Blumenberg aus Nordstemmen. Für die Vogelwelt sei es besser, sich über die Gartengestaltung Gedanken zu machen, als „jährlich rund 20 Millionen Euro allein nur in Deutschland für Vogelfutter auszugeben. Und: „Besonders kontraproduktiv ist das Darreichen von Futter auf dem Boden. Davon profitieren nämlich Tiere, die wir gerade nicht fördern wollen, wie die Waschbären“, ärgert sich Blumenberg weiter. Der „Problembär“ fresse alles was er finden könne, überwiegend jedoch tierische Kost, auch teils geschützte Arten wie Amphibien. Schon seit längerem erobere er auch die Städte. Nahrung stehe in Gärten, Komposthaufen, Müllbehältnissen und falschverstandener Vogelfütterung, im Überfluss zur Verfügung. Seine Ausbreitung müsse so gut wie möglich eingedämmt werden. Und die Tiere ließen sich nur vertreiben, indem man ihre Lebensbedingungen verschlechtert und sie keinesfalls auch noch füttert.

Ob der Waschbär im Kreis Hildesheim schon eine Plage ist, vermag Matthias Freter vom Naturschutzbund (NABU) nicht zu sagen. Vorkommen und Verbreitung würden in Niedersachsen nur unzureichend erfasst. Gleichwohl gebe es Belege über „lokal negative Auswirkungen des Waschbären auf die heimische Tierwelt“. „So kann der Waschbär beispielsweise örtlich ein Problem für den bodenbrütenden Kiebitz, Amphibien oder auch den Rotmilan darstellen“, so Freter.

„Die einen fordern die Wiederausrottung und somit eine vehemente Bejagung, die anderen sind der Auffassung, dass der Waschbär mittlerweile zu unserer heimischen Tierwelt dazugehört und somit das Recht auf eine friedliche Existenz hat“, gibt Freter zu bedenken. Statt den Waschbären zu jagen rät er, vielmehr den Schutz von Lebensräumen der verschiedenen Arten in den Vordergrund zu stellen: Insbesondere für kleinere Säugetiere, Amphibien und Vögel sollten geeignete Lebensräume zur Verfügung gestellt werden und durch Hecken oder alte Baumbestände Verstecke sowie ein größeres Nahrungsangebot geschaffen werden.

Er rät aber auch, darauf zu achten, den Waschbären nicht als Dauergast im Garten zu haben, also Mülltonnen zu sichern, kein Fleisch, Fisch, Milchprodukte, Brot und Obst auf den Kompost zu werfen und Futter für Haustiere nicht über Nacht im Garten oder auf der Terrasse zu lassen. Zudem empfiehlt er Vögel nicht am Boden zu füttern. Deren Futter locke in der Tat ungebetene Gäste an. Ratten würden diese Futterquellen ebenfalls gerne nutzen. Futtersäulen könnten eine Lösung ein.

Zum ganzjährigen Füttern der Vögel sagt Freter: „Das Füttern rund ums Haus erreicht nicht diejenigen Vögel, die im Mittelpunkt notwendiger Schutzbemühungen stehen oder stehen sollten. Deshalb kann die Vogelfütterung zum Artenschutz letztlich nur einen kleinen Beitrag leisten.“ Dort, wo Nahrung für Vögel knapp werde, sollte die Hilfe deshalb bei den Ursachen ansetzen. „Wo naturnahe Lebensräume erhalten oder geschaffen werden, lässt sich tatsächlich viel Positives erreichen – von dem nicht nur wenige Arten profitieren. Gartenbesitzer haben es selbst in der Hand, anstelle eintöniger Thujahecke und Einheitsrasen lebendige Vielfalt mit einem reichen natürlichen Nahrungsangebot zu schaffen und Unkrautvernichtungsmittel wie auch Schneckenkorn aus ihrem Garten zu verbannen“, stimmt er Blumenberg zu. Die Palette der Möglichkeiten, etwas für die heimische Tierwelt zu tun, sei weitaus größer als das breiteste Futtersortiment, und ein vogelfreundlicher Garten die bessere, weil nachhaltigere Lösung.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung 24.08.2020