Schätze vor unser Haustür Aus der HAZ 5. Sep. 2020
Von Marita Zimmerhof: In Stadt und Kreis gibt es viele landschaftliche Besonderheiten, um die uns Naturliebhaber aus anderen Regionen beneiden. Die HAZ stellt sehenswerte Naturreservate vor. Heute: der Bruchgraben
Ernst-August Springmann, Vorsitzender des Naturschutzvereins.
Von wegen! Und das ist nicht zuletzt dem Algermisser Naturschutzverein Alpe-Bruch, einer Regionalgruppe des Ornithologischen Vereins, zu verdanken, der mit seinen 140 Mitgliedern um den Vorsitzenden Ernst-August Springmann angetreten ist, Landwirtschaft und Naturschutz wieder zu versöhnen. Alles begann in der 1980-er Jahren an der Wätzumer Tonkuhle, die nach ihrer Schließung zur Deponie für Industrieabfälle werden sollte. Eine Bürgerinitiative machte mobil, verhinderte die Pläne erfolgreich. Die Keimzelle für den 1986 gegründeten Verein war gelegt.
Heute ist die Wätzumer Tonkuhle, nördlich von Ortschaft und Alpebach gelegen, wertvolles Rückzugsgebiet für viele Tier- und Pflanzenarten. Kein vernünftiger Mensch käme mehr auf die Idee, in dem von zahllosen Wasservögeln bevölkerten Teich Müll versenken zu wollen. Doch dieser Schatz ist nicht der einzige, den die Naturschützer hüten.
Sie schlagen als Treffpunkt den Borsumer Pass vor. Ernst-August Springmann, sein Stellvertreter Christoph Rack und ihre Mitstreiter Wolfgang und Werner Deppe lassen das verwaiste Lokal allerdings links liegen, folgen dem Pfad entlang des Bruchgrabens. Uralte Pappeln säumen den Weg. Dazwischen immer wieder Eichen, genauer gesagt 500 Eichen, die aus dem „1000-Eichen-Spendenprojekt“ stammen, das in den 1980er Jahren der damalige Landrat Heinrich Biermann ins Leben gerufen und auch finanziert hatte.
Der Bruchgraben entspringt als Dingelber und Dinklarer Klunkau, die sich bei Schellerten vereinen und nach 17 Kilometern bei Sarstedt in die Innerste münden. Jetzt im Sommer und nach langer Trockenheit ist er mit seinem geringen Gefälle fast schon ein stehendes Gewässer, das seines natürlichen Bachbetts beraubt und in einen engen Kanal gezwängt wurde. Das war nicht immer so: Bevor der Bruchgraben ab etwa 1850 vertieft und begradigt wurde, um im Auenbereich neues Ackerland zu gewinnen, mäanderte der damals wahrscheinlich fischreiche Bördefluss durch ausgedehnte Auwälder mit sumpfigen Wiesen und Weiden, Büschen und Bäumen. Und das wohl schon seit Ende der letzten Eiszeit.
Nach ergiebigen Regenfällen fehlen dem sonst eher unscheinbaren Bächlein heute aber die natürlichen Überschwemmungsflächen, dann tritt er mit Wucht über die Ufer, flutet Wiesen und Äcker manchmal wochen- oder sogar monatelang. Im Jahr 2000 wurde seine Wasserqualität wegen des hohen Nährstoffeintrags aus der Umgebung zudem als „kritisch belastet“ eingestuft.
In vielen kleinen Schritten versuchen die Naturschützer nun, dem Bruchgraben neues Leben einzuhauchen. Frisch gepflanzte Bäume am Ufer reduzieren die Sonneneinstrahlung und damit die Planktonbildung. Zu den Anpflanzungen gehören als Rarität auch vier Schwarzpappeln, Baum des Jahres 2006, von denen es in jener Zeit in Deutschland gerade noch 3000 Exemplare gab. Immer wieder wird das üppig wuchernde Schilf beseitigt. Jeder Einsatz kostet 150 000 Euro. Auf der anderen Seite des Weges sind Streuobstwiesen angelegt, auf denen Bürger für 50 Euro einen Obstbaum aus der üppigen Palette alter Sorten pflanzen durften und nun lebenslang ernten können. Sofern nicht Insekten und Vögel schneller sind.
Eigens angelegte Flachwasserteiche sind Lebensraum für Amphibien und Insekten, denn weil die Kleinstgewässer immer wieder mal trocken fallen, können Fische ihrer Nachkommenschaft nicht nachstellen. Die Ländereien am Borsumer Pass gehören oftmals kleinteilig parzelliert zum Teil dem Naturschutzverein, zum Teil Privatleuten oder dem Realverband. Inzwischen aber entstehen über Katasteramtsgrenzen hinweg immer größere grüne Inseln, die untereinander vernetzt sind. Tiere und Pflanzen sind damit nicht mehr auf winzigen Eilanden isoliert, sondern können über Verbindungskorridore aus Buschwerk, Bäumen und Tümpeln wandern. Das ermöglicht den Gen-Austausch innerhalb der Arten und sorgt so für eine Stabilisierung der Populationen. Heute fühlen sich hier wieder Nachtigallen und Eisvögel wohl, Steinkäuze, Turmfalken, Milane. Aber auch Abendsegler, eine Fledermausart, Siebenschläfer, ein kleiner Bilch, oder die Blauflügel-Prachtlibelle. „Ein ökologischer Hotspot“, freut sich Springmann.
Wer die B 494 am Borsumer Pass überquert und dem Bruchgraben weiter folgt, kommt nach wenigen hundert Metern zu einem Wäldchen mit einem Teich mittendrin, der auf Luftbildern aussieht wie ein Meteoritenkrater. Ist es aber nicht. Günters Tränke ist ein idyllischer Tümpel, in dem sich Amphibien und Wasservögel wohlfühlen – und in dem neben Rohr- und Igelkolben die seltene Schwanenblume wächst. Und auch hier haben die Naturschützer Richtung Bruchgraben als grüne Brücke eine Streuobstwiese angelegt.
Am Horizont Richtung Bahnstrecke Harsum-Algermissen zeichnet sich mitten in der Ebene bereits ein seltsames Bauwerk ab: Es ist eine Aussichtsplattform, 33 Meter lang, 5 Meter hoch, 8 Tonnen schwer – und 275 000 Euro teuer. Vor einem Jahr wurde sie gebaut, um „Natur erlebbar zu machen“, wie es damals hieß. Und das ist nicht zu viel versprochen, denn der Bruchgraben wurde hier renaturiert, darf wieder frei fließen. Ein beeindruckender Anblick.
Regen hat den Pegel im Bruchgraben steigen lassen und den Blütenstand der ebenso hübschen wie seltenen Schwanenblume unter Wasser gesetzt.
Schon haben sich Sumpf- und Brunnenkresse angesiedelt, wie Uta Striebl, Botanikerin im OVH, erkennt, Binsenarten, Flohknöterich, Schwanenblume. Im Wasser tummeln sich Fischschwärme, Frösche nehmen Reißaus mit einem Sprung ins Wasser, Heuschrecken mit einem Hüpfer auf den nächsten Halm. Fußspuren am Ufer lassen erkennen, dass allerdings auch der Waschbär sich hier bärig wohl fühlt. Für die vielen fleißigen Hände im Naturschutzverein ist der wieder vitale Bruchgraben Entlohnung für viele Stunden ehrenamtliche Arbeit. Wer mag, kann die Hotspots einzeln ansteuern oder zu einer Radtour verbinden. Schon ein Naturschatz, diese Börde.
© Hildesheimer Allgemeine Zeitung