Alle Bürger mit Spaß an der Natur sind zum Mitmachen aufgerufen / Daten dienen der Wissenschaft

Von Marita Zimmerhof

Was blüht denn da? Wolfgang Pahl zückt das Handy, Petra Pahl, Alistair Hill und Sabine Wochnik diskutieren den Fund einer anderen Pflanze. Foto Julia Moras

Langsam kommt die Natur in Schwung. Es grünt und blüht, es summt und brummt, es zwitschert und tiriliert. Aber mal ehrlich: Was genau für ein Blümchen öffnet da gerade seine Knospe? Und was für ein Käfer mag es sein, der da auf dem Stängel krabbelt? Wer nicht mit kiloschweren Bestimmungsbüchern durch die Gegend marschieren will, kann es sich jetzt ganz einfach machen.

Bioblitz heißt die Lösung. Hinter dieser bundesweiten Aktion zur Erfassung der Biodiversität in den Landkreisen steckt die clevere App „Obsidentify“, die mit hoher Zuverlässigkeit die jeweilige Art bestimmt. Benötigt werden dafür lediglich ein Handy mit ausreichend guter Kamera und ein Nutzer-Account. Einfach das unbekannte Objekt fotografieren – die künstliche Intelligenz sagt nur Augenblicke später, was da vor der Linse ist. Und mehr noch: Das System lernt mit jedem neuen Bild dazu, wird somit immer besser.

In den USA erfreut sich die Idee schon seit Jahren großer Beliebtheit: Einfach durch die Landschaft schlendern und dabei spielerisch lernen. In diesem Jahr sind erstmals deutschlandweit alle Bürger zum Mitmachen aufgerufen: Laien, Experten, Familien oder Schulklassen. Pate für den Landkreis Hildesheim ist der Ornithologische Verein (OVH), bei dem schon eine Reihe von Mitgliedern emsig dabei sind, den später gigantischen Datenpool weiter zu füttern.

Einer von ihnen ist der ehemalige Vorsitzende Alistair Hill. Der passionierte Ornithologe braucht keine App, um jeden Vogel am Firmament zweifelsfrei zu bestimmen. Doch bei manchen Pflanzen, Käfern, Pilzen oder Moosen musste auch er bislang passen. Aber nun gibt es ja die App. Einmal kurz fixiert. Aha: mit 100-prozentiger Sicherheit eine gemeine Gänsekratzdistel. Und daneben? Mit 98-prozentiger Sicherheit eine Knoblauchsrauke. Noch ist das winzige Pflänzchen, das gerade erst der Frühlingssonne entgegenwächst, kaum zu bestimmen. Doch noch ein paar Tage, dann wird die App sicherlich auch die restlichen zwei Prozent Unsicherheit ausgeräumt haben. „Aha, Garlic Mustard“, sagt Hill, der sich die Trivialnamen lieber in seiner Muttersprache anzeigen lässt.

Inzwischen hat allein Hill 300 Arten gemeldet. Die Funde werden anschließend von Fachleuten bestätigt – oder auch mal korrigiert – und stehen dann allen Nutzern zur Verfügung. Ausnahme sind streng geschützte Arten wie etwa Orchideen, bei denen der Standort nicht verraten wird. Auch zwei Hildesheimer gehören zu den Experten im Hintergrund: der Biologe Hans Verdaat und seine Frau Nicole Janinhoff-Verdaat.

Je mehr Menschen mitmachen, um so besser: Denn so entsteht ein Datenschatz hoher wissenschaftlicher Qualität. Dieser steht dann wiederum für Grundlagenforschung und dem Naturschutz zur Verfügung, um etwa die Roten Listen bedrohter Tier- und Pflanzenarten zu erstellen. Die Stiftung Observation International und das Museum Naturalis in den Niederlanden sichern die Daten dauerhaft.

Denkbar ist, dass sich anhand der geografischen Daten klimabedingte Verschiebungen in den Lebensräumen einzelner Arten ablesen lassen. Und Arten auftauchen, die in diesen Breiten noch nie zuvor kartiert worden sind. Aber man kann die Fotopirsch auch einfach nur aus Spaß an der Freude machen.

„Neulich musste ich auf einem Parkplatz warten“, erzählt Petra Pahl, die OVH-Vorsitzende. Gerade als ihr langweilig wurde, fiel ihr der Bioblitz wieder ein. Also schnell das Handy gezückt und das Pflaster nach Spaltenbewohnern abgesucht. „Erstaunlich, was da alles wächst“, freut sich die Naturliebhaberin und hält die Kamera beim Hohnsensee-Rundgang vor einen blühenden Zweig. Erkannt: Zaubernuss. Und das zu 100 Prozent.

Um die App „ObsIdentify“, mit der Sie an der Bioblitz-Aktion teilnehmen können, herunterzuladen, können Sie einen der beiden QR-Codes scannen – der linke gilt für Smartphones mit dem Android-Betriebssystem, der rechte gilt für Apple-Smartphones.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung 21.02,2022