Aus der HAZ vom 12.07.2023

Von Robin Pradey

So rührend das kleine Entlein auch ist, es bleibt die Frage: Was macht das mit einem Küken, wenn es nicht bei den eigenen Eltern aufwächst? Alistair Hill vom Ornithologischen Verein zu Hildesheim sieht im Falle der Ente kein Problem: „Auch in der freien Wildbahn kommt es vor, dass Wasservögel von anderen Vogelarten aufgezogen werden. So wie in Hans Christian Andersons Märchen vom hässlichen Entlein, wo eine Gans unter Enten aufwächst.“

Für die Küken sei das dann vollkommen normal, denn sie haben beim Schlüpfen noch kein Verständnis dafür, wer ihre Mutter ist, erklärt Hill und ergänzt: „Enten und Hühner sind Nestflüchter. Das heißt, sie verlassen schon früh das Nest. Deshalb erfolgt kurz nach der Geburt eine Prägung auf das erste Lebewesen, was die Küken kennenlernen.“

Dass dies nicht zwingend ein Vogel sein muss, zeigen Versuche aus den Achtzigern. Wie Friedrich Schutz vom Institut für Verhaltensentwicklung in „Publikationen zu wissenschaftlichen Filmen“ berichtete, war es dem Versuchsteam gelungen, Enten auf Menschen wie auch auf Entenattrappen zu prägen. Dies gelingt ihm zu Folge am besten in der sensiblen Phase zwischen der achten und der 24. Lebensstunde. Das Küken reagierte bei den Versuchen vor allem auf Geräusche und Bewegungen als Schlüsselreize.

Die Prägung war sogar so nachhaltig, dass die auf einen Menschen geprägten und neben einer Ente ausgesetzten Küken lieber zu dem ihnen bekannten Menschen rannten, als bei der Ente zu bleiben. Für Entenküken ist es also nicht wichtig, bei Enten aufzuwachsen, sondern bei dem Lebewesen zu bleiben, das sie von Geburt an kennen.

Und auch für die Henne wird es laut Hills Einschätzung keine große Sache sein, eine Stockente auszubrüten und groß zu ziehen: „Wenn Vögel ein fremdes Ei verstoßen, schmeißen sie es noch vor dem Schlüpfen aus dem Nest. Sie würden aber keinen Jungvogel verstoßen.“ Eine Prägung wie bei den Küken finde zwar nicht statt, doch Vogelmütter könnten die Küken schon im Ei zwitschern hören und so ihren selbst ausgebrüteten Nachwuchs später selbst in großen Vogelschwärmen an der Stimme erkennen.

Bei Nesthockern findet eine solche Prägung nicht statt. „So was gibt es nur bei Nestflüchtern, damit diese bei der Mutter bleiben. Bei Singvögeln ist das nicht nötig, da diese bis sie fliegen können und flügge werden im Nest bleiben und das Futter von den Eltern geliefert kriegen. Entenküken hingegen werden schnell selbstständig, suchen nach Nahrung und können direkt schwimmen“, sagt Hill.

Die Nähe zur Mutter dient daher vor allem der Sicherheit, erläutert Hill: „Sie warnt den Nachwuchs vor Gefahren, verjagt Feinde und wärmt die Küken, wenn es zu kalt wird.“ Und diese Aufgabe könne halt auch ein Huhn übernehmen.

Beim Besuch der HAZ fällt jedoch auf, dass Küken Flip – anders als Entenküken in freier Wildbahn – nicht hinter der Mutter hinterher watschelt, sondern eigenständig durch das Gehege flitzt. „In einem Gehege oder Stall aufzuwachsen, ist keine normale Situation für einen Wildvogel. Hier gibt es weniger Gefahren“, erklärt der Vogelexperte dieses unbeschwerte Verhalten.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung

Familie aus Farmsen findet verlassenes Entenei im Garten – und Henne Hummel brütet es aus

Isabell Mrozek legte ein zurückgelassenes Ei zu ihrer Seidenhuhnhenne Hummel in den Stall. Es stammt aus einem geplünderten Stockentennest am Gartenteich.

Von Robin Pardey

Als Isabell Mrozek und ihre Familie Mitte Juni im Garten klar Schiff machten, trauten sie ihren Augen nicht: Bei Arbeiten am Gartenteich entdeckten sie gut versteckt im Schilf ein Nest mit neun Eiern. „Wir hatten schon oft gesehen, dass eine Ente und ein Erpel hier gelandet und im Teich geschwommen sind, doch das Nest war für uns eine Überraschung“, erzählt die Grundschullehrerin aus Farmsen.

Voller Vorfreude auf eine kleine Entenfamilie beobachtete Mrozek seither aus sicherer Entfernung das Pärchen, das durch die Menschen im Garten wenig beeindruckt schien. Doch dann wurde es plötzlich ruhig um den Teich. Von Ente und Erpel keine Spur mehr. Mrozek wurde misstrauisch und machte schließlich eine traurige Entdeckung: Fünf Eier fehlten komplett, drei weitere waren geknackt worden. Lediglich ein Entenei lag noch unversehrt in dem Nest. „Das war vermutlich ein Waschbär. Mader verspeisen ihre Beute eher vor Ort, anstatt sie wegzuschleppen“, sagt Mrozek.

Wohlwissend, dass auch dieses Küken verloren ist, wenn das Ei nicht weiter ausgebrütet wird, entschied Mrozek sich, das Ei der Henne Hummel anzuvertrauen. Die zweijährige Henne ist eine von insgesamt acht Zwergseidenhühnern, die zusammen mit einem Blausperber und zwei Laufenten in einem Stall direkt am Haus leben. Während sich die Laufenten nicht wirklich um das Ei scherten, hockten sich auch die anderen Hennen immer mal wieder auf das Ei und so trennte Mrozek Ei und Ziehmutter schließlich vom Rest der Gruppe, um Streitereien vorzubeugen.

Nach zwei Wochen Bangen war es dann so weit: Pünktlich zum Start der Ferien schlüpfte die kleine Stockente unversehrt aus dem Ei. „Das kleine Küken war total platt, nachdem es sich aus dem Ei befreit hatte“, erinnert sich Mrozek zurück und ergänzt: „Enteneier haben eine härtere Schale, als Hühnereier.“

Und so flitzt beim Besuch der HAZ am Montag ein nicht mal fünf Tage altes Entlein durch das Gehege. Das quirlige Tier ist kaum zu halten und pickt neugierig an allem rum, was ihm vor den Schnabel kommt. Von Angst oder Erschöpfung ist keine Spur. Und auch, wenn es im Gehege sicher ist, hat Hummel das muntere Küken stets im Blick. Lediglich beim Schwimmen bleibt die Henne lieber am Beckenrand stehen, während der Junior in einer Plastikmuschel voll Wasser seine Runden dreht.

„Am Anfang hat Hummel noch nach mir gehackt, wenn ich dem Küken zu nah kam. Mittlerweile ist sie aber entspannter und ich kann Flip ohne attackiert zu werden, hochnehmen“, sagt Mrozek, während sie das Küken wieder über den Rand der Wanne und zurück auf die Wiese setzt. Dennoch sind die anderen Hennen von Flip – so nennt Mrozek das Küken – und Adoptivmutter Hummel durch einen Zaun getrennt. Sobald das Küken sieben Wochen alt ist, will Mrozek eine Zusammenführung wagen. „Das wird dann für beide spannend, denn Hummel war ja auch mehrere Wochen von den anderen getrennt“, erklärt Mrozek und fährt fort, „Jede Veränderung hat Einfluss auf die Rangordnung in der Gruppe.“

Und wie geht es dann weiter? Das weiß Mrozek auch noch nicht so genau. „Irgendwann wird Flip einen Flugdrang entwickeln“, prognostiziert die 27-Jährige. Sie ist aber unsicher, ob die junge Stockente in der Natur überleben würde und überlegt daher, die Flugfedern zu stutzen. „Das tut nicht weh, aber durch das Gehege ist Flip die Gefahren der Natur nicht gewöhnt und daher eine leichte Beute.“ Mrozek spielt deshalb mit dem Gedanken, das Wildtier zu behalten.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung