Aus der HAZ vom 02. Sep. 2023

Bernd Galland oben auf dem Ortsberg über Langenholzen, wo er fast jeden Tag gewesen ist, seit er 1971 mit seiner Frau hierher zog

Die Paul-Feindt-Stiftung ist der größte private Grundbesitzer im Landkreis Hildesheim. Ihr gehören Berge, Felder, Wiesen, die sie gekauft oder gepachtet hat. Bernd Galland hat diese Stiftung mit gegründet. Nun, mit fast 80 Jahren, gibt er den Vorsitz ab – aber der Naturschützer, der er sein Leben lang war, bleibt er.Wäre dieser Augenblick eine Filmszene, würde sich Bernd Galland jetzt vielleicht umdrehen und den berühmten Satz sagen: „Eines Tages, mein Kind, wird all das einmal dir gehören.“ Genauso steht er da, oben auf dem Ortsberg, und blickt über grüne Wiesen und Hügel auf Langenholzen hinunter: als wäre das die Szene, seine Rolle, sein nächster Satz. Aber natürlich läuft hier kein Film, es gibt kein Drehbuch, ein Kind ist auch nicht in der Nähe. Bloß ein paar Kühe, die auf der Weide grasen.

Aber das Land, das ist wirklich seins, also: gewissermaßen. Es gehört ihm nicht persönlich, aber zum Besitz der Paul-Feindt-Stiftung, die Galland bis vor Kurzem und über Jahrzehnte geleitet hat. Der Stiftung gehört sogar jede Menge Boden im Landkreis Hildesheim. Insgesamt sind es 1000 Hektar, die sie gekauft oder gepachtet hat. Das ist so viel wie 1400 Fußballplätze. In jedem Fall macht es die Paul-Feindt-Stiftung zu einem echten Großgrundbesitzer, genau genommen zum größten privaten Eigner im Landkreis.

Was die mit dem ganzen Land will, den Feldern, Wiesen, Bergen? Es schützen. Bewahren. Ja, wirklich: für Generationen unsichtbarer Kinder und die eigenen. Es erhalten als Siedlungsgebiet für Tier- und Pflanzenarten, deren Lebensraum sonst knapp zu werden droht. Als Refugium einer Vielfalt, die man verteidigen muss, wenn man nicht eines Tages aufwachen und feststellen will, dass sie entschwunden ist.

„Aber was Naturschutz genau ist, das ist eine Ermessensfrage“, sagt Galland und setzt sich auf eine Bank. Langes Stehen, das ist nichts mehr für ihn mit seinen bald 80 Jahren. Er spricht wie der Lehrer, der er einst war, klar und ruhig und vermittelnd, jeder Satz Wissen und Erfahrung. Die Füße an den überschlagenen Beinen stecken in hohen Bergschuhen, und Galland trägt wie auf den meisten der wenigen Fotos, die von ihm existieren, ein kariertes Hemd. Naturschutz ist harte Arbeit, und manchmal, das ist noch härter, ist er schwer zu verstehen, schwer zu vermitteln.

Schließlich geht es hier nicht um bedrohte Elefanten. Oder um den Schutz fotogener Säugetiere, um weiches Fell und große Augen. Nein, es geht um Laubfrösche, Heuschrecken, Insekten oder Schnecken, es geht um Ackerwildkräuter, Pilze, Teichmuscheln und dornige Hecken, immerhin auch um Orchideen, es geht ums Zählen und Erfassen und Auswerten, um Kartieren, um Tabellen und trockene EU-Programme. Um die Basisarbeit.

Die hat Galland schon als Junge gelernt. Als 12-, 13-, 14-Jähriger, der nach der Schule nichts Eiligeres zu tun hatte, als mit dem Fahrrad und ein paar Kumpels in Richtung Leinebergland zu sausen, am liebsten jeden Nachmittag. Vögel beobachten. Ihre Rufe erkennen, ihr Verhalten studieren. Nach seltenen Arten Ausschau halten.

Und dann war da „Paule Feindt“, wie Galland den Namensgeber der Stiftung nennt. „Der war Lehrer am Josephinum, er unterrichtete meinen Bruder“, sagt er. Paule gab Englisch, Französisch und Sport, aber als der Schule ein Bio-Lehrer fehlte und Feindt einsprang, da wurde er erst so richtig zum Helden seiner Schüler.

„Der ist im Unterricht viel rausgegangen ins Feld, da ging es nicht nur um Theorie, sondern der hat denen das Leben draußen gezeigt.“ Das Leben war Natur, Vogelkunde vor allem. Einmal ist Bernd Galland mit seinem Bruder mitgegangen. „Und das“, platzt er mit einem Lachen in die Stille, „war der Fehler meines Lebens.“ Was dem Jungen sowieso schon am Herzen lag, das förderte Paule nun, zeigte ihm und den anderen Jungs die besten Gebiete zum Beobachten von Tieren, lehrte sie das Erfassen, Kartieren und warum das alles wichtig war, wurde zum Lehrer auch außerhalb des Unterrichts, zum Freund.

„Ich weiß noch, wie ich mal unterwegs war und plötzlich zwei Schwarzstörche sah“, sagt Galland. Eine kleine Sensation, nein, eigentlich sogar eine große. „Ich also los, zurück nach Hildesheim, zu Paule Feindt, das musste ich ihm erzählen.“ Feindt hatte damals eine Wohnung am Neustädter Markt, was unter seinen Schülern Allgemeinwissen war. Wer was wollte, klingelte einfach bei ihm. Und Bernd Galland wollte an diesem Tag definitiv was.

„Es war der 13. August 1961“, sagt Bernd Galland, „der Tag, an dem die deutsch-deutsche Mauer errichtet wurde.“ Nach den 13-Uhr-Nachrichten machte er sich auf nach Nordstemmen. Was in Berlin passierte, war spannend, aber was er von seinem Sitz auf einer großen Pappel beobachten konnte, war noch viel spannender. Ein Schwarzstorch, dann noch einer! Unglaublich.

Wenig später, 1962, wurde er Mitglied des Ornithologischen Vereins, den Feindt neun Jahre zuvor gegründet hatte. Und alles, was danach passierte, resultierte direkt oder indirekt aus diesen Entscheidungen, diesen Begegnungen und Einflüssen, dieser Vergangenheit. Bernd Galland nickt in stiller Erinnerung: Ja, der Paule. Das war vielleicht einer!

“Ökosysteme sind viel zu komplex, um mal auf die Schnelle draufzuschauen und zu sagen, das macht man richtig, das falsch.”

Er blickt zum Himmel, nicht träumerisch, sondern prüfend: Ob es heute noch regnen wird? „Nein, nein, heute bleibt es trocken“, sagt er. Die grasenden Kühe auf der Weide vor ihm kommen näher. „Kühe sind das Beste, was einer Weide an Pflege passieren kann“, sagt er. Viele Wiesen, auch die oberhalb von Langenholzen, sind in den vergangenen Jahrzehnten so zugewachsen, dass sie vielen Tierarten keinen Unterschlupf mehr bieten konnten und vielen Pflanzen keinen Bode.

Die Naturschützer haben sie dann wiederhergestellt, haben erst große Teile des wuchernden Buschwerks beseitigt und dann die Beweidung auf den Weg gebracht, den Auftritt der vierbeinigen Landschaftspfleger. Rinder, Schafe und Ziegen verhindern, dass die gestutzten Büsche auf dem Trockenrasen-Areal wieder die Oberhand gewinnen. Ziegen sind sogar noch besser als Kühe, fällt ihm jetzt ein, die fressen auch Büsche, sogar solche mit Dornen.

Dann sagt Bernd Galland einen Satz, den man ihn sofort bitten möchte zu wiederholen: „Ohne Homo Sapiens gäbe es keinen Naturschutz.“ Sekunde mal: Ist nicht Homo Sapiens der Grund, warum es überhaupt Naturschutz braucht? Vor wem schützen wir denn die Natur, wenn nicht vor den Auswirkungen menschlichen Handelns?

„Ja, natürlich kann man es auch so herum drehen“, sagt Galland. Aber wenn wir den Menschen in seiner heutigen Existenz nun mal voraussetzen, dann ist eben die Frage, wie man die Natur vor den Folgen dieser Existenz am besten bewahren kann. Nicht umsonst lautet schon der allererste Satz auf der allerersten Seite der Homepage der Paul-Feindt-Stiftung: „Die Stiftung widmet sich dem Schutz, der Pflege und der Entwicklung naturnaher Lebensräume der historisch gewachsenen Kulturlandschaft rund um Hildesheim.“

Natur ist also längst Kultur. In das, was die Stiftung schützt, hat sich der Mensch immer schon eingeschrieben, und da sich seine Spuren nie vollständig ausradieren lassen, muss man sie einbeziehen in die Maßnahmen, sie mitdenken bei allem, was man tut. Die Zivilisation ist ein Rad, das sich nicht zurückdrehen lässt.

Aber auch der Naturschutz rund um Hildesheim hat schon ein paar Jährchen auf der Uhr, so ist ja nicht. „Die sieben Berge wurden schon 1850 von Botanikern untersucht“, sagt Bernd Galland. Auch gezählt und kartiert wurde schon immer, Populationen gezeichnet und festgehalten. „Das Kartieren ist ja keine neue Erfindung, es gibt eine ganze Reihe sehr alter Verbreitungsatlanten“, sagt Galland. „Die Briten haben da viel publiziert.“ Schließlich geht nur aus solchen Erfassungen hervor, wie es um Arten bestellt ist, welche besonders gefährdet sind.

Da fängt es über dem Ortsberg an zu regnen. Nicht viel, aber doch. Bernd Galland bleibt ruhig auf seiner Bank sitzen. Was hätte er sein Leben lang getan, wenn ihm schon ein paar Tropfen etwas ausmachten! 1971, erzählt er, ist er hierher nach Langenholzen gezogen. „Seitdem habe ich jeden Tag auf diesen Berg geschaut“, sagt er, „und oft bin ich um vier Uhr morgens aufgestanden, um hinaufzugehen.“

Apropos 1971. Am Heiligabend hatten Galland und sein langjähriger Freund und Mitstreiter Manfred Bögershausen, mit dem er 1989 die Paul-Feindt-Stiftung gründete, nichts Besseres zu tun, als einen Graben im Erlenbruch am Hildesheimer Kupferstrang zu ziehen, um das Wasser der Beeke besser auf die umliegenden Teiche zu verteilen. Eine etwas verrückte Aktion wegen des bevorstehenden Festes, doch das war noch nicht alles: Auch die Frauen der beiden erwarteten jeweils ihr erstes Kind, während die Herren draußen buddelten.

Maria Galland hat es ihrem Mann wohl verziehen. Sie, die sich selbst seit langer Zeit für den Naturschutz engagiert, und er wollen jetzt im September wieder in die Abruzzen reisen, ihre liebste Gegend in Italien. Die Stiftungsarbeit weiß Galland in guten Händen, er hat sie einem neuen Vorstand übergeben. Sabine Wochnik, Richard Huster und Stephan Piwanski sind die drei, die die Zukunft der Stiftung prägen und mitbestimmen werden. „Die sind toll, die machen das alles besser als ich“, sagt Bernd Galland, und wenn das hier ein Film wäre, würde er sich jetzt ganz sicher eine Pfeife anzünden: der Senior, der still und ohne jede Eitelkeit auf sein Lebenswerk schaut.

Der neue Stiftungs-Vorstand: Stephan Piwanski, Sabine Wochnik und Richard Huster

Es gäbe noch viel zu sagen. Sollen es andere sagen. Bernd Galland wird auch ohne offizielle Funktion Naturschützer sein, so wie er es als Junge schon war, als er noch gar nicht wusste, was Vereinsarbeit überhaupt ist. Er weiß, dass die Maßnahmen im Rahmen dieser Arbeit bei den Menschen nicht immer auf Gegenliebe und Verständnis stoßen. Dass Naturschutz Pragmatismus und Kompromissbereitschaft verlangt, eine ständige Abstimmung mit Naturschutzbehörden, Förstern, Fischern, Bauern, anderen Initiativen. Dass man sich manchmal streiten muss.

Dass aber so ein Blick, wie er ihn jetzt hat, über den Ortsberg, die Wernershöhe, über den Steinberg, die Gronauer Masch oder den Osterberg in Hildesheim das alles wert ist. „Ökosysteme sind viel zu komplex, um mal auf die Schnelle draufzuschauen und zu sagen, das macht man richtig, das falsch“, sagt er. Nein, nein, darauf muss man viel Zeit verwenden. Ein Leben eigentlich.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung