Aus der HAZ vom 14.12.2023

Von Tarek Abu Ajamieh
 
Die Netzbetreiber drängen auf die Abkehr vom Erdkabel. Dabei wurde das erst vor einigen Jahren vorgeschrieben – um das Landschaftsbild zu schützen. Doch nun könnte es zu einer Kehrtwende kommen.

Drei große neue Stromtrassen sollen zusätzlich zu Südlink in den nächsten Jahren durch den Landkreis Hildesheim gebaut werden. Bisher sind sie als Erdkabel vorgesehen – doch die großen Übertragungsnetz-Betreiber wollen erreichen, dass sie wieder Freileitungen bau- en dürfen. Dies sei deutlich günstiger, zudem ließen sich Freileitungen schneller bauen. Bundesregierung und Bundestag scheinen offen dafür, das Thema neu zu diskutieren. Konkret geht es um drei geplante 525-Kilovolt-Gleichstromtrassen, die bis zum Jahr 2037 in Betrieb gehen sollen. Die Bundesnetzagentur hat bereits drei mehrere Kilometer breite Korridore – sogenannte Präferenzräume – festgelegt, innerhalb derer die Netzbetreiber genaue Trassen vorschlagen sollen. Die Trasse OstWestLink von Leer in Richtung Leipzig führt demnach auf jeden Fall quer durch den Nordkreis, der NordWestLink aus dem Raum Cuxhaven nach Baden-Württemberg durch den westlichen und südlichen Landkreis und der Süd-OstLink aus dem Raum Lübeck nach Baden -Württemberg Durch den Öst- und Südkreis. Da sich die drei Trassen im Raum Hildesheim kreuzen, sollen hier zusätzlich große Schaltanlagen installiert werden.

Erdkabel doppelt so teuer?   
 
Jede der drei Trassen soll etwas größer werden als Südlink – und die gleiche Aufgabe erfüllen: Windstrom von der Nordsee nach Süd- und Ostdeutschland zu bringen. Das soll dazu führen, dass Windparks seltener abgeregelt werden müssen, weil das Netz ihren Strom nicht mehr aufnehmen kann. Denn das verursacht von Jahr zu Jahr steigende Kosten, die sich über die Netzentgelte auch auf den Stromrechnungen der Verbraucher wiederfinden. In diesem Jahr sollen es rund 4 Milliarden Euro werden.

Kosten sind nun auch das zentrale Argument der Netzbetreiber für die Rückkehr zur Freileitung. Erdkabel seien doppelt so teuer und würden unnötige Mehrkosten von rund 20 Milliarden Euro verursachen, erklärte jetzt der Netzbetreiber TransnetBW in Abstimmung mit seinen Partnern Tennet und 50Hertz. Die drei Unternehmen sollen die neuen Trassen gemeinsam realisieren – und werben beim Bundeswirtschaftsministerium für eine erneute Gesetzesänderung.
Tatsächlich wurden solche Höchstspannungsleitungen über Jahrzehnte als Freileitungen gebaut. Im Zuge der Südlink-Planung gab es allerdings bundesweit Pro- teste von Anliegern: Sie forderten Erdkabel, um das Landschaftsbild zu schützen. Die damalige Große Koalition in Berlin folgte diesem Wunsch, um die Akzeptanz für die Leitungsprojekte zu erhöhen. Die zu erwartenden Mehrkosten spielten in der Debatte kaum eine Rolle. Ebenso wenig die Warnungen von Landwirten vor dauerhaften Bodenschäden und Ertragseinbußen durch Erdkabel.
Doch nun trommeln die Netzbetreiber mit diesem Argument für eine erneute Kehrtwende. „Weitere Vorteile wären ein kostengünstigerer Betrieb, weniger Eingriffe in die Natur und nicht zuletzt weniger

Doch nun trommeln die Netzbetreiber mit diesem Argument für eine erneute Kehrtwende. „Weitere Vorteile wären ein kostengünstigerer Betrieb, weniger Eingriffe in die Natur und nicht zuletzt weniger Engpässe bei Lieferanten und Bauteams“, ergänzt ein Sprecher von TransnetBW.
Der Hildesheimer Bundestags- abgeordnete Bernd Westphal, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, zeigt sich für einen erneuten Kurswechsel grundsätzlich offen: „Das wird gerade geprüft.“ Mit Blick auf Kosten, Betrieb und Bauzeit hätten Freileitungen Vorteile gegenüber Erdkabeln. Anderseits würden die Masten das Landschaftsbild verändern, und die Leitungen könnten über für die Windkraft benötigte Flächen verlaufen. Eine Anfrage an das Bundeswirtschaftsministerium blieb am Mittwoch zunächst unbeantwortet.

Landwirte können hoffen

Viel Zeit bis zu einer Entscheidung bleibt nicht. Schon Ende Januar sollen die drei Netzbetreiber Vorschläge für konkrete Trassenverläufe vorlegen – unter der Erdkabel-Prä- misse. Sollte es eine Rückkehr zu Freileitungen geben, müsste die Behörde wahrscheinlich neue Präferenzräume festlegen. Ob die dann auch alle im Kreis Hildesheim liegen würden, ist aktuell nicht abzusehen.
Sicher ist laut TransnetBW allerdings: Bei Südlink wird es keine Rolle rückwärts geben. Diese große Nord-Süd-Trasse, die ebenfalls durch den Landkreis Hildesheim verläuft, solle auf jeden Fall als Erdkabel verlegt werden. Da- gegen wehrt sich nach wie vor ein Zusammenschluss landwirtschaftlicher Grundeigentümer aus dem Südkreis: Der Verein „Kein Starkstrom im Acker“ hofft, auch bei Südlink die Erdverkabelung noch zu stoppen, zur Not auf juristischem Weg.

Bei den drei neuen Stromtrassen hofft der Vorsitzende Thomas Stadler erst recht, dass sich die Netzbetreiber mit ihrem Wunsch nach der Rückkehr zur Freileitung durchsetzen: „Gerade aufgrund des aktuell gewachsenen Bewusstseins über Grenzen der Finanzierbarkeit von Vorhaben und Projekten unserer Gesellschaft sind die infolge der Verlegung und des Betriebs von Erdkabeln zu er- wartenden schwerwiegenden Schäden an unseren wertvollen Ackerböden nicht mehr zu recht- fertigen“, sagt er. Darauf habe sei- ne Initiative im Übrigen schon von Anfang an hingewiesen.

Kreis sorgt sich um Windkraft

Kreis Hildesheim. Die Hildesheimer Kreisverwaltung bangt angesichts der Pläne für drei große neue Stromtrassen im Kreisgebiet um ihre Ausbauziele für die Windkraft. Das erklärte die Behörde auf HAZ-Anfragenacheiner Info-Veranstaltung der dreigroßen Stromnetz-Betreiber TransnetBW, Tennet und 50 Hertz. Bei ihrem Statement ging die Kreisverwaltung noch allein von Erdkabeln aus – doch auch Freileitungen könnten Auswirkungen auf geplante Windparks haben.

„Es ist ein hoher Flächenverlust durch die neuen Leitungen zu
befürchten“, heißt es in der Stellungnahme der Kreisverwaltung. „Da diese Leitungen so konfliktarm wie möglich geplant und verlegt werden sollen, stehen sie in direkter Flächenkonkurrenz zu künftigen Windenergieparks.“ Die Niedersachsenstudie des Landes, auf der das Flächenpotenzial und auch die Flächenvorgabe für Windenergie im Landkreis Hildesheim basierten, berücksichtigten diesen zukünftigen Flächenverlust nicht. Das Land hat dem Landkreis Hildesheim zur Vorgabe gemacht, 1,38 Prozentseiner Gesamtfläche für Windkraft bereitzustellen – ein Wert spürbar unter dem niedersächsischen Durchschnitt von 2,2 Prozent der Landesfläche. Die Vorgabe aus Hannover entspricht rund 16,6 Quadratkilometern im
Landkreis Hildesheim.

Wo eine Erdkabel-Trasse verläuft, kann grundsätzlich auch ein Windpark entstehen, erklärt Alexander Schilling, Pressesprecher des Netzbetreibers TransnetBW, auf HAZ-Anfrage: „Ein Nebeneinander von Gleichstrom-Erdkabel und Windkraft ist in unseren Au- gen möglich. Allerdings hätte unsere Trasse Vorrang und müsste durch die Anlagenplanung bei der Platzierung der Windenergieanlagen berücksichtigt werden.“
Transnet BW geht davon aus, dass vom äußersten Kabel einer solchen Erdkabel-Trasse bis zum nächsten Windrad ein Abstand von 40 bis 50 Metern nötig sein dürfte. Daraus ergibt sich, dass drei 100 bis 120 Meter breite Streifen durch das Kreisgebiet verlaufen werden, auf denen kein Windrad stehen darf. Bei Freileitungen wird im Einzelfall entschieden – tendenziell dürfte aber zwischen Windrad und Freileitung ein höherer Abstand vorgeschrieben wer- den als zwischen Windrad und Erdkabel.

Ganz andere Situation
 
Von Tarek Abu Ajamieh
Rund 20 Milliarden Euro mehr für Erdkabel statt Freileitungen das ist eine gewaltige Summe. Wird sie allerdings über mehrere Jahrzehnte
auf 40 bis 50 Millionen Stromverbraucher umgelegt, bleiben nur sehr kleine Summen übrig, die der einzelne kaum bemerken dürfte.
Deshalb drangen Kritiker des Erdkabel-Vorrangs in der Debatte um die Gesetzesänderung vor Südlink vor einigen Jahren kaum durch.
Ein schöneres Landschaftsbild war es wert, war die weit verbreitete Haltung.
Doch die Voraussetzungen haben sich geändert. Angesichts starkgestiegener Energiepreise ist die Sensibilität für die Kostenfaktoren
deutlich gewachsen – in Bevölkerung und Politik. Auch wenn es für den Einzelnen  nur um ein paar Euro im Jahr geht, wird sich das Argument nicht mehr so leicht  vom Tischwischen lassen.

Hinzu kommen Warnungen der Landwirte vor Ertragsverlusten durch Erdkabel.  Andererseits ist auch das Thema Landschaftsbild inzwischen noch sensibler geworden. Denn die Windkraft soll in weit stärkerem Maße ausgebaut werden,  als dies noch vor einigen Jahren ab- zusehen war. Viel mehr Windräder und zusätzlich neue Riesen- Stromleitungen – diese Aussichten  verändern das ganze Land. Neu zu prüfen, ob Erdkabel oder Freileitungen besser sind, ist richtig. Mehrere Voraussetzungen haben sich deutlich verändert.
Klar ist aber auch: Jahre- lang darf das nicht dauern.

© Hildesheimer Allgemeine Zeitung