Derzeit ist der Ehrlicher-Park ihr Projekt und das ihrer Kollegen: Landschaftsarchitektin Susanne von Weymarn erläutert im HAZ-Interview, wo die vielfältigen Erwartungen der Menschen an Parks eigentlich herkommen.
Aus der HAZ 14. Februar 2024
Von Kathi Flau und Andrea Hempen
Foto Katie Flau
Frau von Weymarn, wenn es um Grünflächen geht, hört man oft den Wunsch, alles sollte sein wie früher. Flächen wie der Ehrlicher-Park sollen gepflegt sein, sich aber gleichzeitig natürlich entwickeln. Aber hat es denn so etwas in der Historie überhaupt je gegeben?
Nein, das gab es in der Form nicht. Aber der Wunsch danach ist ja verständlich und auch berechtigt. Es kommt darauf an, wie weit man in der Geschichte zurückblicken will, aber im Mittelalter zum Beispiel hatten wir es mit sehr eng bebauten Stadtkörpern innerhalb eines Wallrings zu tun. Wo es so gut wie gar kein Grün gab.
Drinnen die Stadt, draußen das Grün?
Genau. Die Natur wurde über Jahrhunderte als feindlich wahrgenommen, als gefährlich. Die Stadt aber bot Schutz. Da lebte man sehr dicht beieinander, sehr beengt, mit Grün war da nicht viel. Garten oder Parks waren lange Zeit feudalen Kreisen vorbehalten.
Das waren durchweg private Anlagen?
Ja. Wer als Bürger Land besaß, außerhalb der Stadt, der nutzte es zum Anbau von Lebensmitteln. Gärten waren erst etwa ab 1800 ein Thema. Es gab aufklärerische Herrscher, die auf die Idee kamen, die Leute müssten auch mal aus den Städten raus, brauchten mal Bewegung. Die Parks waren damals noch in der Tradition englischer Landschaftsgärten angelegt. Stark gestaltete Natur, voll durchgeplant. Mit Denkmälern, Wegen, Sitzplätzen, Wasserflächen, Pavillons, geschnittenen Bäumchen. Da ging es um ein Landschaftsideal, in dem man gesittet spazieren ging.
Und wann lockerte sich das?
Um 1900 öffneten sich die Städte. Jeder, der es sich leisten konnte, wohnte jetzt außerhalb der Wallanlagen. Da entstanden die Gründerzeitviertel, in Hildesheim der Weinberg oder der Galgenberg. Wer Geld hatte, zog aus der Altstadt raus. Und wer noch mehr Geld hatte, legte sich einen Garten an. Die Villa Dyes oberhalb des Ehrlicher-Parks ist ein Beispiel. Die Parkanlagen waren privat, sie wurden erst 1928 für die Öffentlichkeit freigegeben.
Wer kam in Hildesheim dorthin?
Es war die Zeit der Volksgärten, als Anlagen nicht mehr nur ästhetischen, sondern auch sozialen Gedanken folgen sollten. Sie sollten familientauglich sein. Ausflugslokale etablierten sich zusätzlich, die Kupferschmiede, der Brockenblick, das Berghölzchen in Hildesheim. Der soziale Gedanke des Volksparks ist bis heute lebendig geblieben. Da muss ein Spielplatz sein, Bänke, bespielbare Wiesen.
Welche Ansprüche sind seitdem stärker geworden oder neu hinzugekommen?
Ein wichtiger Punkt. Wir sprechen im Fachjargon von multicodierten Freiräumen. Was bedeutet, dass auf den Freiflächen, die wir in der Stadt noch haben, ein hoher Erwartungsdruck liegt. Da ist das Thema Freizeit, also Erholung, Sport, Spiel. Aber auch Kultur soll im Park stattfinden, Veranstaltungen, Konzerte, Open Airs. Gleichzeitig werden aber Parks auch immer wichtiger als Refugium für Tiere und Pflanzen. Denn auch außerhalb der Städte, wo eine industriell geprägte Landwirtschaft vorherrscht, werden die Räume knapp, in denen Natur sich frei entfalten kann. Gerade in historischen Parks sind Lebensräume für seltene Arten entstanden, so wie wir beispielsweise im Ehrlicher-Park ein Eisvogel-Vorkommen haben.
Klingt nach einem planerischen Spagat. Wie bringen Sie das unter einen Hut?
Naja, dazu kommt noch das Thema Klimawandel, die Anpassung an dessen Folgen. Je stärker sich die Innenstädte in den Sommern aufheizen, umso wichtiger sind Grünflächen, um einen Effekt der Kühlung zu erzeugen. Wir haben das Starkregenphänomen, das die Kanalisation allein gar nicht mehr bewältigen kann, sodass wir Freiflächen brauchen, die das Wasser aufnehmen und es so zurückhalten, dass es langsam versickern kann. Wieder ein neuer Anspruch. Und all das fokussiert sich auf die Grünanlagen.
Könnten nicht auch Plätze einen Teil dieser Aufgaben übernehmen?
Plätze sind unglaublich wichtig für die Gemeinschaft, die müssen wir ebenso nutzen und begrünen. Nur sind sie keine Parks und können auch nicht so funktionieren. Vor allem aber dürfen wir nicht immer mehr Flächen versiegeln. Pro Tag werden in Deutschland 55 Hektar neu versiegelt. Das ist enorm viel. Und es gibt bereits Stimmen, die fordern, gar nicht mehr auf zu versiegelnden Flächen zu bauen, sondern nur noch nachzuverdichten. Und wo findet Nachverdichtung statt? Auf den für uns so wichtigen Freiflächen. Es gibt also eine starke Konkurrenzsituation um den Boden.
Gibt es da einen Rückwärtsgang? Kann man versiegelte Flächen wieder öffnen? Ent-siegeln sozusagen?
Ja, entsiegeln ist eine mögliche Maßnahme. Das versuchen wir auch in vielen Projekten. Man muss nur wissen, dass der Boden unter versiegelten Flächen erstmal kein lebendiger Boden mehr ist. Was man anderswo an Mikroorganismen findet, an Würmern, Käfern, allem – das ist dort nicht mehr zu finden. Man kann dieses Leben wieder herstellen. Aber bis man wieder einen humosen Standort mit guten Wachstumsbedingungen hat, das dauert.
Gibt es für Sie als Planer eine Idee, der Sie langfristig folgen? Eine Art Vision der Stadt in 20 oder gar 50 Jahren?
Sagen wir mal so: Im Moment sind alle planenden Branchen vom Thema Klimawandel bestimmt, das steht überall ganz oben auf der Agenda. Wir müssen bestehende Flächen nutzen, und wir müssen sie anders nutzen. Wir müssen innerhalb der Städte grüner werden, und wir müssen dafür nicht nur die Freiräume, sondern auch die bestehende Architektur mit ihren Fassaden und Dächern nutzen, um auf diese Weise ökologische Funktionen in Städten zu steigern und sie gleichzeitig zu kühlen.
Und in Parks? Was ist da das Bild der Zukunft?
Auch dort geht es darum, Flächen multifunktional zu nutzen. Ein Spielplatz etwa könnte so angelegt sein, dass er gleichzeitig als Wasserretentionsfläche funktioniert. Heißt: Wenn man ihn tiefer legt, wäre er bei Starkregen auch für die Regenrückhaltung geeignet. Oder dass wir Pflaster verwenden, das versickerungsfähig ist. Insgesamt müssen wir versuchen, das Wasser in der Stadt zu halten. Es kann nicht einfach in den Kanal fließen und weg ist es. Was wir brauchen, ist eine Stadt, die das Regenwasser für das Stadtgrün für die Hitzevorsorge hält, eine sogenannte Schwammstadt.
Auch Bäume sind ja Wasserspeicher. Werden wir da im Zuge der Klimaanpassung alte Arten verlieren und nur noch neue sehen?
Wir verlieren aktuell viele Altbäume. Das geht allen großen Parks in Deutschland so, Wörlitz, Sanssouci, alle sind im Alarmmodus. Überall gehen die alten Bäume verloren, und gerade sie sind ja die Maßstabsgeber für diese historischen Gartenanlagen – was sind die noch ohne ihre alten Bäume? Ein echtes Drama. Und auch für unser Klima ist es ein Drama, solche Bäume als Kohlendioxidbinder einerseits und Sauerstoffproduzenten andererseits zu verlieren. Noch dazu sind es die alten Bäume, die die Kühlungswirkung erzielen, die wir an heißen Tagen dringend brauchen.
Warum geschieht das gerade jetzt?
Die Grundwasserstände sind stark gesunken, das ist die Hauptursache. Wir haben die Hitzesommer und deshalb einen ausgetrockneten Bodenkörper, ausgetrocknet in der Tiefe. Die Bäume haben sich aber über Jahrzehnte oder Jahrhunderte ihrem Standort angepasst. Nun ist das Wasser nicht mehr da, und die Wurzeln, die für jede Versorgung zuständig sind, kommen nicht mehr ran. Die haben nicht die Vitalität und Kraft, einfach einen Meter tiefer zu wurzeln. Sie können sich also nicht mehr ernähren. Oder sind so geschwächt, dass ihre Anfälligkeit für Krankheiten und Schädlinge deutlich steigt. Im Moment boomen deshalb sogenannte Klimabäume. Baumschulen haben die jetzt in ihren Katalogen: besonders robuste Baumarten, meist aus Vorderasien oder Nordamerika, die Kontinentalklima können, trockene, heiße Sommer. Und die gleichzeitig Frost ertragen.
Und an die werden wir uns gewöhnen müssen?
Nicht durchgehend. Deshalb vertreten wir die Ansicht und Praxis, nach wie vor heimische Bäume zu pflanzen. Auch wenn wir manchmal schon überlegen, na, können die die kommende Hitze wohl ab? Aber zum Beispiel Buchen stehen auch auf dem Ith auf Felsen, und wenn man eine junge Buche pflanzt, kann die sich auf einen wasserarmen Standort einrichten. Nur der alte Baum, der schafft das nicht mehr. Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf eine maximale Vielfalt. Und wenn wir dann doch eine Art haben, die es nicht schafft, geht nicht gleich der ganze Bestand ein. Alle müssen da jetzt Erfahrungen sammeln.
Das heißt, dass eine junge Generation heimischer Bäume eine Chance hätte, im Klimawandel zu bestehen?
Bäume können sich in einem hohen Maß anpassen. Aber darauf können wir uns weder verlassen noch ausruhen. Bis ein junger Baum die Funktionen in dem Maß wie ein alter Baum übernehmen kann, das dauert Jahrzehnte. Jeder alte Baum ist also total wichtig. Und man muss immer dieses sensible Zusammenspiel sehen: Auf einer heimischen Stiel-Eiche wohnen 500 heimische Insektenarten, die aneinander und auch an ihr Umfeld gewöhnt sind. Wenn ich da eine andere, nichtheimische Eichenart hinstelle, dann können die nicht einfach umziehen, da sie auf die Stiel-Eiche spezialisiert sind. Was bedeutet, dass man mit jedem Baum, den man ersetzt, sehr stark in ein gesamtes Baum-Ökosystem eingreift.
Aber gerade die alten Bäume werden oft gefällt, auch im Ehrlicher-Park.
Ja, aber eben in Folge des Wandels. Die Standfestigkeit der Bäume oder auch das Trockenholz in den Kronen, um das es oft geht, wenn von Verkehrssicherheit die Rede ist, ist ja ein Folgeproblem. Wer da in kommunaler Verantwortung steht, der muss für die Sicherheit der Menschen Sorge tragen. In einem starken Hitzesommer werfen Bäume mitunter ganze Kronenteile ab, und niemand könnte verantworten, dass das dann jemandem auf den Kopf fällt.
Hatte Ihr Berufsstand es in der Vergangenheit schon mal mit derart vielfältigen Anforderungen zu tun?
Wahrscheinlich nicht. Gerade die Landschaftsarchitektur als Profession, in der es immer um ökologisches und nachhaltiges Handeln ging, kann viel zu einer Lösung beitragen, aber es ist im Moment ein Experimentieren. Nicht nur in unserem Feld. Überall werden gerade verschiedene Konzepte versucht, um den Klimawandel zu managen. Wir stehen vor enormen Herausforderungen. Denen versuchen wir zu begegnen. Das kann nur gemeinsam gelingen, mit Politik, Interessengruppen, Vereinen und Verbänden, da sind alle gefordert. Es gibt viele Interessenslagen auf städtischen Freiflächen, und die müssen wir dort vereinen. Immer wieder. Es ist ein bisschen die Quadratur des Kreises.
© Hildesheimer Allgemeine Zeitung